Wissenschaft und Kritik
- Wissenschaftstheorie -

© 1998 - 2022 Wolfgang Neundorf
Stand: 20.08.2022

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Zunächst gilt die Wissenschaftstheorie als ein Teilgebiet der Philosophie. Einerseits geht es um die Klärung grundlegender Fragen. Erkenntnistheoretische sowie methodologische Fragen gehören dazu. Andererseits nehmen die praktizierenden Wissenschaftler von dermaßen “praxisfremden” Überlegungen kaum bis überhaupt nicht Notiz. Und wenn, dann kommen nur negative Haltungen zum Vorschein Diese Einstellung hat traurige Tradition. - Die hier vorgestellten Texte zu diesem Thema deuten einige Problempunkte wirklich nur an, ohne auch nur den geringsten Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben. Anschaulichkeit hat auch hier Vorrang.

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Thomas Samuel Kuhn

Beobachtung und Erfahrung können und müssen den Bereich der zulässigen wissenschaftlichen Überzeugungen drastisch einschränken, andernfalls gäbe es keine Wissenschaft. Sie allein können jedoch nicht ein bestimmtes System solcher Überzeugungen festlegen. Ein offenbar willkürliches Element, das sich aus zufälligen persönlichen und historischen Umständen zusammensetzt, ist immer ein formgebender Bestandteil der Überzeugungen, die von einer bestimmten wissenschaftlichen Gemeinschaft in einer bestimmten Zeit angenommen werden.
Thomas Samuel Kuhn, 1962

Thomas S. Kuhn
1922 - 1996

 

Inhalt

  1. Wissenschaftstheorie
  2. Erkenntnis - was ist das?
  3. Evolutionäre Erkenntnistheorie
  4. Evolutionäre Erkenntnistheorie (I)
  5. Evolutionäre Erkenntnistheorie (II)
  6. Evolutionäre Erkenntnistheorie (III)
  7. Evolutionäre Erkenntnistheorie (IV)
  8. Der blinde Fleck
  9. Die Realität und deren Interpretation
  10. Zwei Welten
  1. Mathematik und Erkenntnis
  2. Begriffe
  3. Alice im Wunderland
  4. Das Experiment und die Wahrheit
  5. Erkenntnis und Wahrheit
  6. Reduktionismus
  7. Bausteine
  8. Arbeitsteilung
  9. Zeitreise
  10. Wissen wir, was wir nicht wissen?

 

Wissenschaft und Kritik - Wissenschaftstheorie

 

Wissenschaftstheorie

18.04.2000

Wissenschaftstheorie als konstruktive Wissenschaftskritik verstanden. Einige Vorbemerkungen.

Immanuel KantEs ist eben nicht so was Unerhörtes, dass, nach langer Bearbeitung einer Wissenschaft, wenn man wunder denkt, wie weit man schon darin gekommen sei, endlich sich jemand die Frage einfallen läßt: ob und wie überhaupt eine solche Wissenschaft möglich sei. Denn die menschliche Vernunft ist so baulustig, dass sie mehrmalen schon den Turm ausgeführt, hernach aber wieder abgetragen hat, um zu sehen, wie das Fundament desselben wohl beschaffen sein möchte. Es ist niemals zu spät, vernünftig und weise zu werden; es ist aber jederzeit schwerer, wenn die Einsicht spät kommt, sie in Gang zu bringen.

Diese Sätze sind schon etwas betagt und entstammen einem Buch, dessen erste Auflage anno 1783 erschien. Der Autor heißt Immanuel Kant und lebte von 1724 bis 1804; und Philosophie-Professor in Königsberg (im damaligen Ostpreußen) war er obendrein. Eines seiner wichtigsten Werke heißt Kritik der reinen Vernunft, doch das obige Zitat ist dem Vorwort der Prolegomena zu einer jeglichen künftigen Metaphysik entnommen. Doch schrieb Kant seine Prolegomena ("Vorbemerkungen") erst nach der "Kritik".

Wie dem auch sei, die gerade zitierte Aussage sollte zu denken geben, zumal der "Turm der Wissenschaft" vor über zweihundert Jahren so gewaltig in seiner Höhe noch gar nicht gewesen sein konnte.

Die Wissenschaftstheorie - als philosophische Disziplin - setzt sich mit erkenntnistheoretischen, methodologischen und den damit einhergehenden sozialen Zusammenhängen auseinander. Und ein tiefgreifendes (meines Erachtens bislang ungelöstes) soziales Problem finden wir im heutigen Wissenschafts- und Lehrbetrieb, der eine (wie alle anderen gesellschaftlichen Strukturen auch) vom Einzelnen nicht mehr beeinflussbare Eigendynamik entwickelt. Somit muss eine wissenschaftstheoretische Auseinandersetzung immer eine erkenntniskritische Vorgehensweise implizieren - im positiven und konstruktiven Sinne verstanden. Und eine Kritik an den etablierten Institutionen von Lehre und Forschung sollte nicht als Kritik an der Wissenschaft an sich missverstanden werden.

Es ist niemals zu spät, vernünftig und weise zu werden; es ist aber jederzeit schwerer, wenn die Einsicht spät kommt, sie in Gang zu bringen.

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So Kant. Die Frage: Wie schwer ist es heutzutage, "vernünftig und weise zu werden", nachdem die Wissenschaften mehr als zwei Jahrhunderte Weiterentwicklung erfahren konnten?

Die folgenden Beiträge werden sich, nicht gerade besonders systematisch, mit einigen Seiten der Analyse wissenschaftlicher Tätigkeit auseinandersetzen. Vielleicht gelingt es sogar, keine all zu große Langeweile aufkommen zu lassen.

 


 

Erkenntnis - was ist das?

26.04.2000

Die Frage danach, was Erkenntnis denn eigentlich sei, ist bis heute nicht erschöpfend beantwortet worden. 

Erkenntnis: Erfassen eines Objektes durch ein Subjekt. Seit den Anfängen der Philosphie wird die Frage nach dem Wesen und den Methoden der E. diskutiert.

Dies sind die ersten Sätze, die wir unter dem Stichwort "Erkenntnis" in einem philosophischen Wörterbuch (Rainer Hegenbart, Wörterbuch der Philosophie, München 1984) finden. Diese Aussagen werden uns auch nicht weiterhelfen.

Nun befasst sich die Philosophie mit vielen grundlegenden Fragen, beispielsweise: Ob und wie Erkenntnis überhaupt möglich sei. Die unterschiedlichsten philosophischen Strömungen und "Ismen" nehmen sich dieses Themas seit Jahrtausenden an.

Die Wissenschaftler - an vorderster Front die Physiker - kümmert(e) dies fast überhaupt nicht. Die Forschung wird betrieben, ohne Rücksicht auf erkenntnistheoretische und methodologische Erwägungen, von einigen - meist prominenten - Physikern einmal abgesehen. Folgende Namen (eine kleine ungerechte Auswahl) fallen mir in diesem Zusammenhang ganz spontan ein: Ernst Mach (österr. Physiker, 1838 - 1916), Albert Einstein (1879 - 1955), Werner Heisenberg (1901 - 1976) und Carl Friedrich von Weizsäcker (geb. 1912). Diese Physiker machten sich sehr wohl Gedanken über die Theorien, welche irgendwann einmal entstanden sind oder die sie selbst entwickelt haben.

Doch bringen uns allgemeine Überlegungen genannter Art nicht unbedingt weiter. Interessanter schon ist die Frage nach dem Erkenntniswert ganz konkreter Theorien.

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Zu Beginn des 20. Jahrhunderts läuteten zwei Theorien das Zeitalter der modernen Physik ein: Die Quantentheorie und die (zunächst spezielle) Relativitätstheorie. Diese Theorien werden heutzutage von der "offiziellen" Physik nicht mehr hinterfragt, weil sie sich eindeutig und für alle Zeiten(!) bewährt haben.

Bewährt aber haben sie sich (wenn überhaupt) lediglich in der technischen Anwendung. Einerseits ist man bestrebt, "die Welt" der rationalen Erklärung zugänglich zu machen, doch andererseits gibt man sich mit "pragmatischen Argumenten" zufrieden.

Die bislang unbeantwortete Frage: Kann eine der bestehenden Theorien überhaupt die Ausgangsbasis bilden für eine künftige angestrebte einheitliche Theorie?


 

Evolutionäre Erkenntnistheorie

17.12.2001

Den Erkenntnisprozess als einen evolutionären Vorgang zu begreifen, scheint so abwegig nicht zu sein. Doch der Teufel steckt im Detail.

Eines dieser Details wäre es, sich mit verschiedenen Standpunkten auseinander zu setzten. Drei Namen vielleicht sind es, die ich hervorheben möchte und im 20. Jahrhundert mit dem Begriff Wissenschaftstheorie in Verbindung gebracht werden können. Da wäre Karl Popper zu nennen. Dieser lebte von 1902 bis 1994. Sein Motto lässt sich vielleicht mit "Versuch und Irrtum" umschreiben. Der zweite im Bunde, Thomas Samuel Kuhn, von 1922 bis 1996 lebend, prägte den Begriff des "Paradigmas". Er glaubte nicht an die evolutionäre Entwicklung der Wissenschaften. Wahrer wissenschaftlicher Fortschritt wird immer mit einem revolutionären Umbruch verbunden sein. "Paradigmenwechsel" lautet hier das Stichwort. Und - last but not least - wäre Hugo Dingler (1881 - 1954) zu nennen. Der Standpunkt dieses zu Unrecht ziemlich in Vergessenheit geratenen Philosophen lässt sich, ganz grob umrissen, mit den Worten "Methodik" oder "Methodik statt Erkenntnistheorie" oder "Prinzip der pragmatischen Ordnung" beschreiben.

Vielleicht werde ich mich in einem späteren Beitrag mit allen Dreien beschäftigen (wenn ich irgendwann dazu in der Lage bin) und Gemeinsames aber auch Gegensätzliches herauszuarbeiten versuchen. Momentan halte ich es mit "Versuch und Irrtum". Einige Seiten des Erkenntnisprozesses wird man damit sicherlich erfassen können. Und: Bei Licht besehen sind Revolution und Evolution so weit voneinander nicht entfernt, wie man eventuell zu glauben geneigt ist. Denn die Evolution kommt ohne die Revolution (in der Biologie Mutation genannt) nicht aus. Ohne bisweilen grundlegendes Umdenken , wird es keinen Erkenntnisfortschritt geben - auch keinen evolutionären. Und was die Methodologie angeht, so kann man nachweisen - ich habe dies teilweise bereits getan -, dass gerade die Physik von methodischen Fragwürdigkeiten nur so strotzt. Aber den Erkenntnisprozess ausschließlich auf die - unbestritten sehr wichtige und wesentliche - Methode der Erkenntnisgewinnung reduzieren zu wollen, halte ich persönlich für etwas einseitig.

Wo liegen die grundsätzlichen Unterschiede zwischen Evolution und Revolution? - Abstrakt kann man diese Frage dahingehend beantworten, dass die Evolution immer als Ausgangsbasis den gegebenen Stand der Dinge nimmt. Eine Zurück gibt es nicht. Nur eine Vervollkommnung des des bereits Erreichten kommt in Betracht.
Die Revolution hingegen stellt auch das bisher Erreichte in Frage. Irgendwann - so sieht es z.B. Thomas Kuhn - wird ein grundlegender Wandel nötig sein, denn ein generelles Umdenken erst wird für den notwendigen Erkenntnisfortschritt sorgen. Von Paradigmenwechsel war bei ihm die Rede. Als Beispiel eines solchen Wechsels nannte er die Kopernikanische Wende.

Geht man dieses Problem, konkret auf die gegebene Physik bezogen, an, so ist es nicht gerade leicht, darüber zu befinden, was “zum gegebenen Erkenntnisstand” gehört, und welcher “Paradigmenwechsel” notwendig sein könnte, die mögliche “Krise der Physik” zu überwinden.
In den Augen der praktizierenden Wissenschaftler im arbeitsteiligen Forschungsprozess gibt es - erstens - keine zu bewältigende Krise, und - zweitens - haben die Pradigmenwechsel, wenn es denn welche gegeben haben sollte (Stichworte Relativität und Quanten), bereits zur Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert stattgefunden.

War das nun ein revolutionärer Schritt oder ein Schritt in einem evolutionären Prozess?
Der Teufel steckt, wie so oft, auch hier im Detail - und in der Sichtweise des Betrachters. Einerseits wird gern von einer revolutionären Umwälzung gesprochen, zu derem wesentlichen Element
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die “Unanschaulichkeit der modernen Physik” wurde. Die Begriffe Raum, Zeit, Kausalität erfuhren z.B. eine Neubewertung; und der “gesunde Menschenverstand” wurde in die Schranken gewiesen. Außerdem gewannen die mathematischen Formalismen die Oberhand.
Andererseits fußt diese vorgebliche “Revolution des physikalischen Denkens” auf genau jenen Erkenntnissen des ausgehenden 19. Jahrhunderts, denn es wurden die etablierten Theorien nicht wirklich verworfen, sondern man wies ihnen lediglich ein Gültigkeitsbereich zu.

Meiner Meinung wird weder das Bild von der Evolution noch das von der Revolution allein den Tatsachen wirklich gerecht.

 


 

Evolutionäre Erkenntnistheorie (I)

01.05.2000

Versuch und Irrtum. Dies kennzeichnet die Evolution. In der Wissenschaft ist das anscheinend ganz anders.

Kurt X. wird wegen dringenden Mordverdachtes verhaftet. Seine geschiedene Frau soll durch sein Tun vom Leben zum Tode befördert worden sein. Ingrid X. wurde erwürgt in ihrer Wohnung aufgefunden. Der Verdacht fiel sofort auf Herrn X., zumal dessen nicht gerade besonders guter Ruf für eine Täterschaft sprach. Auch die Nachbarin will den Kurt am Tatort - und ungefähr zur Tatzeit - gesehen haben, als dieser fluchtartig die Wohnung seiner Ex-Frau verließ. Selbstverständlich wurden auch die Fingerabdrücke des einschlägig vorbestraften Tatverdächtigen in der Wohnung des Opfers gefunden. (Was auch kaum verwunderlich ist.) Kurt X. hatte zwar bislang weder Mord noch Totschlag auf dem Gewissen, aber Diebstahl, Einbruch sowie schwere Körperverletzung zählten durchaus zu seinem kriminellen Repertoire.

Locker und gelassen - und nachsichtig lächelnd - hörte sich der Tatverdächtige die Anschuldigungen an. Nicht einmal die "Bullenschweine" wurden, wie sonst üblich, unflätig beschimpft. Kommissar Y. zeigte erste Anzeichen von Verunsicherung. Sein "alter Freund" verhielt sich auffallend zivilisiert. Irgend etwas stimmte also nicht! Endlich ließ sich Kurt nicht länger betteln und erwähnte, offensichtlich sehr gelangweilt, dass er diesmal ein absolut todsicheres Alibi habe, an dem keine Macht der Welt - nicht einmal der gnädige Herr Kommissar - rütteln könne. Kurt lächelte aufreizend freundlich.

Die Sache war schnell geklärt. Kurt befand sich zur Tatzeit in Polizeigewahrsam. 300 Kilometer vom Tatort entfernt. Wegen Trunkenheit am Steuer. Bei über zwei Promille Alkohol im Blut. Da war nichts zu machen. Den Kurt konnte der Kommissar vergessen. Die Arbeit begann von vorn. Alle Indizien und Zeugenaussagen mussten neu bewertet werden. Wie widersprüchlich auch alles schien, es mussten Lösungen gefunden werden. Und der wahre Täter (oder die Täterin?) auch.

Was dies alles mit der Wissenschaft zu tun hat, ist recht einfach zu erklären. Nehmen wir einmal an, eine physikalische Theorie (beispielsweise) habe sich endgültig bewährt. Dies könnte (beispielsweise) die Elektrodynamik sein. Nun ist es gerade diese physikalische Disziplin, die, wie keine andere, aus unserem alltäglichen Leben nicht wegzudenken ist. Ohne Elektrizität läuft fast überhaupt nichts. Und ohne die Radiowellen wäre unser Leben durchaus ein wenig ärmer. Aber auch das Licht zählt zu den physikalischen Phänomenen, die mit Hilfe der Elektrodynamik beschrieben werden. Diese physikalische Theorie entstand im 19. Jahrhundert und hatte sich bis heute bewährt. Die Indizien sind erschlagend. Keine Macht der Welt ist in der Lage, an der Richtigkeit der Elektrodynamik zu rütteln...

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Nun gibt es aber seit Ende des 19. Jahrhunderts Hinweise, dass es mit der unumschränkten Gültigkeit dieses Fachgebietes gar nicht so weit her ist. Als Stichwort möchte ich nur Quantentheorie erwähnen.

Und hier verlässt uns die Analogie zum Kriminalfall. Anders als im "wahren Leben", ist es in der Wissenschaft nicht üblich, noch einmal von vorn zu beginnen, "wenn irgend etwas nicht stimmt". Karl Popper (1902 - 1994) fordert aber - zumindest implizit - genau ein solches Vorgehen. Eine (z.B. physikalische) Theorie ist jederzeit widerlegbar, aber nie endgültig beweisbar. (Ob sich Popper aber der Konsequenzen einer solchen Haltung wirklich bewusst war, kann ich nicht einschätzen.)


 

Evolutionäre Erkenntnistheorie (II)

05.05.2000

Zwei Auffassungen vom Erkenntnisprozess. Unüberwindbare Widersprüche oder nur Missverständnisse?

Die kritische Wahrheitssuche der Menschen hat ihre bisherigen Höhepunkt in den gegenwärtig so verlästerten Naturwissenschaften gefunden. Aber es muß betont werden, daß auch die Naturwissenschaftler oft irren und aus ihren Irrtümern manchmal eine naturwissenschaftliche Mode gemacht wird. Alle Menschen sind fehlbar, und unsere Suche nach objektiver Wahrheit ist bedroht von unserer Hoffnung, sie bereits gefunden zu haben.

Diese Sätze schrieb Karl Popper anno 1984. Sie sind im Vorwort der vierten Auflage seines Buches "Objektive Erkenntnis - Ein evolutionärer Entwurf" nachzulesen. Diese Sätze bedürfen - für sich genommen - keines Kommentars. Mit Blick auf die aktuelle Physik jedoch kommt man nicht umhin, einschätzen zu müssen, dass solche - oder vergleichbare - Aussagen völlig ohne Einfluss auf die konkrete Forschung geblieben sind.

Nun möchte ich die "Gegenpartei" zu Wort kommen lassen. Hier handelt es sich um einen amerikanischen Physiker, der 1979 (zusammen mit zwei anderen Kollegen) mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurde. Gemeint ist Steven Weinberg, von dem 1992 ein Buch erschien, welches ab 1993 auch als deutsche Ausgabe mit dem Titel "Der Traum von der Einheit des Universums" erhältlich war. Im Kapitel "Wider die Philosophie" rechnete Weinberg (geb. 1934) u.a. mit den Philosophen im allgemeinen und den "Wissenschaftssoziologen" im besonderen ab.

Steven WeinbergEs ist schlicht und einfach falsch, aus der Beobachtung, daß die Wissenschaft ein sozialer Prozeß ist, den Schluß zu ziehen, daß das Endprodukt, unsere wissenschaftlichen Theorien, durch die an diesem Prozeß beteiligten sozialen und historischen Kräfte festgelegt werde. Eine Gruppe von Bergsteigern mag über den besten Weg zum Gipfel streiten, und ihre Argumente mögen durch die Geschichte und die soziale Struktur der Expedition bedingt sein, doch am Ende finden sie entweder einen geeigneten Weg zum Gipfel, oder sie finden ihn nicht, und wenn sie tatsächlich den Gipfel erreichen, werden sie den Weg kennen. ... Nach meiner festen Überzeugung entdecken wir in der Physik etwas Reales, etwas, das so ist, wie es ist, unabhängig von den sozialen oder historischen Bedingungen, die uns erlauben, es zu entdecken.
...Die Wissenschaftler selbst scheinen von diesen radikalen Kritikern der Wissenschaft kaum oder überhaupt nicht beeindruckt zu sein. Ich kenne keinen aktiven Wissenschaftler, der sie ernst nähme. Für die Wissenschaft stellen sie insofern eine Gefahr dar, als sie diejenigen beeinflussen könnten, die sich noch nicht in der Wissenschaft betätigt haben, besonders diejenigen, die über die Finanzierung der Wissenschaft entscheiden, sowie neue Generationen von potentiellen Wissenschaftlern.

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Zwei ziemlich wahllos herausgegriffene Zitate. Und dennoch zeigen sie unterschiedliche Positionen, wie sie unterschiedlicher nicht sein können. In den folgenden Beiträgen werde ich versuchen, Sinn und Unsinn der einen oder der anderen Haltung offen zu legen. Vielleicht gelingt es mir, das Anliegen wissenschaftstheoretischer Überlegungen einigermaßen plausibel darzulegen.

 

 

 


 

Evolutionäre Erkenntnistheorie (III)

15.05.2000

Die Physiker sind also mehrheitlich der Auffassung, dass erkenntnistheoretische Überlegungen eher unnütz und sinnlos sind. Doch ganz so einfach sollte man es sich nicht machen, zumal es sich heutzutage bei der Forschung um einen sehr tiefgreifenden arbeitsteiligen Prozess handelt.

Im letzten Text kamen ein Philosoph und ein Physiker zu Wort. Dass es sich bei dem (physikalischen) Erkenntnisprozess irgendwie um einen Vorgang handelt, bei dem aus Irrtümern und Fehlern gelernt wird, ist eine Einschätzung, die wohl beide Seiten teilen.

Die Physiker jedenfalls sind der Meinung, dass die Forschung - früher oder später - ihre selbst gesetzten Ziele erreicht. Und sollten irgendwelche Ziele "völlig unerwartet" einmal "später" (oder etwa gar nicht) erreicht werden, so kann es daran nur liegen, dass die für die Forschung nun einmal notwendigen Mittel nicht bereitgestellt wurden. Oder nicht bereitgestellt werden konnten. Oder dass die Mittel in die "falschen" Forschungsprojekte geflossen sind. Oder...

Welche Gründe man auch "finden" wird, eines ist absolut sicher: Am beschrittenen Weg der Erkenntnisgewinnung liegt es mit Bestimmtheit nicht! Und damit möchte ich noch einmal den Nobelpreisträger Weinberg zu Wort kommen lassen (Der Traum von der Einheit des Universums, S. 194):

Die “Verhandlungen” über Veränderung der wissenschaftlichen Theorie werden weitergehen, und Wissenschaftler werden aufgrund von Berechnungen und Experimenten immer wieder die Meinung ändern, bis sich schließlich die eine oder Auffassung unverkennbar als objektiver Erfolg herausschält. Nach meiner festen Überzeugung entdecken wir in der Physik etwas Reales, etwas, das so ist, wie es ist, unabhängig von den sozialen oder historischen Bedingungen, die es uns erlauben, es zu entdecken.

Diese Sätze sind recht interessant. Zum einen wurden sie von einem kompetenten Physiker formuliert, zum zweiten dürfte diese darin enthaltene Grundhaltung typisch sein für die Ansichten der Fachwissenschaftler überhaupt, und zum dritten sind es konkrete Aussagen, denen man mit konkreten Argumenten begegnen kann. Die in diesen Sätzen zum Ausdruck kommende Haltung lässt sich vielleicht folgendermaßen systematisieren:

  1. Die Theorie nähert sich - durch Gegenüberstellung von Theorie (Berechnung) und Praxis (Beobachtung, Messung) immer mehr der Wahrheit. Irrtümer werden sukzessive herausgefiltert.
  2. Gegenstand der (hier physikalischen) Forschung ist objektiv real.
  3. Der konkrete historische Verlauf der Entwicklung einer Wissenschaft (hier der Physik) hat langfristig keinen Einfluss auf die Ergebnisse der Forschung.
  4. Die gesellschaftlichen Bedingungen und gesellschaftlichen Strukturen von Lehre und Forschung behindern die Objektivität der Forschungsergebnisse langfristig keineswegs.

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Beginnen wir bei der ersten These, Hier herrscht grundsätzlich Konsens. Mit "Versuch und Irrtum" könnte diese Vorgehensweise umschrieben werden. Hypothesen und Theorien werden solange verworfen oder modifiziert, "bis sich schließlich die eine oder Auffassung unverkennbar als objektiver Erfolg herausschält".

Das Problem aber: Was ist ein "objektiver Erfolg"? Und: Wer befindet darüber, was als Erfolg zu werten ist und was nicht? Am Beispiel der Elektrodynamik sei dies näher erläutert.

 


 

Evolutionäre Erkenntnistheorie (IV)

30.05.2000

Es ist durchaus möglich, dass der Begriff der evolutionären Erkenntnistheorie leicht zu Missverständnissen und Fehlinterpretationen führen kann. Auf Aspekte dieses Sachverhaltes gehen die folgenden Ausführungen ein.

Wenn behauptet wird, dass die Lebens- und Überlebens-Chancen des Individuums, der Population oder der Art von seiner/ihrer Angepasstheit an die Umwelt abhängen, so lässt diese Aussage einen gewaltigen Interpretationsspielraum zu. Dieser Satz ist so allgemein gehalten, dass man nicht besonders viel damit anfangen kann.

Andererseits hindert uns jedoch kein Mensch daran, den Begriff der Evolution - von den biologischen Prozessen gelöst - auf Vorgänge anzuwenden, die auch einer Entwicklung unterliegen. Vielleicht ist es eine Definitionsfrage, von evolutionären Prozessen in irgendwelchen anderen Zusammenhängen zu sprechen (anderes Stichwort: Selbstorganisation).

Und einen möglichen "anderer Zusammenhang" finden wir im (menschlichen) Erkenntnisprozess. Auch hier sollte man differenzieren und abgrenzen, um nicht ins Uferlose abzugleiten. Sicherlich ist es auch für Gemeinschaften auf der Stufe der "Jäger und Sammler" überlebensnotwendig, sich "angemessen" zu verhalten. Dies setzt einen gesellschaftlichen und individuellen Lernprozess voraus. Doch darum geht es hier nicht.

Vom wissenschaftlichen Erkenntnisprozess ist die Rede. Wenn man nun behauptet, es handele sich hierbei möglicherweise um einen evolutionären Prozess , so sollte man diese Aussage schon etwas genauer erläutern.

Das Ziel der Forschung nun einmal ist es, Informationen zu sammeln. Zunächst. Dann wäre es vielleicht nicht schlecht, ist man in der Lage, diese Informationen in ein systematisches Gewand zu kleiden, welches Theorie genannt wird.

Nehmen wir beispielsweise die astronomischen Verhältnisse, so ist es - erst einmal - angemessen und legitim, die Bewegung der "himmlischen Objekte" auf unseren subjektiven egozentrischen Standpunkt zu beziehen, der sich als geozentrisches "Welt"-Bild im Ptolemäischen System in mathematischer Vollendung wiederfand.

Die bekannten Relationen zwischen den astronomischen Konstellationen und dem Kalender schließlich sind unabhängig von der "Richtigkeit" des allgemein akzeptierten "Welt"-Bildes. Und es gab eine Zeit, da erhöhte es mit Sicherheit nicht die individuelle Überlebens-Chance, wenn man von der Richtigkeit eines anderen Systems überzeugt war und diese Überzeugung auch noch öffentlich verkündete.

Giordano Bruno endete auf dem Scheiterhaufen. Selbst, wenn Bruno widerrufen hätte und eventuell am Leben geblieben wäre, so hätte das geozentrische "Welt"-Bild nicht bis in unsere Tage überlebt.

Theorien "sterben", wenn sie sich nicht auf Dauer bewähren konnten. Und nun kommen wir zu einigen entscheidenden Fragen:

  1. Was heißt "auf Dauer bewähren"?
  2. Was heißt wissenschaftliche Erkenntnis?
  3. Was bedeutet Wahrheit?
  4. Setzt sich die Wahrheit letztendlich tatsächlich durch?

Handelt es sich bei dem wissenschaftlichen Erkenntnisprozess mithin um einen evolutionären Vorgang, bei dem unser theoretisches Wissen über die objektive Realität (vorausgesetzt, wir nehmen den Standpunkt ein, dass es eine solche objektive Realität gibt) einen immer höheren Grad an Objektivität erfährt und sich von subjektiven, historischen und gesellschaftlichen Einflüssen immer unabhängiger macht?

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Der Begriff der Evolution ist - so scheint es - zu sehr vorbelastet, so dass man eher von einem iterativen Vorgehen sprechen sollte, geht es um die Erkenntnistätigkeit.

Von allem unberührt scheint die Tatsache zu sein, dass die Überlebens-Chancen der "Menschheit" nicht unbedingt mit dem Grad der Adäquatheit der wissenschaftlichen Erkenntnisse korreliert sind.

 

 


 

Der blinde Fleck

24.08.2000

Die richtigen Fragen zu stellen ist erheblich schwieriger, als diese Fragen dann zu beantworten.

Hoimar v. DitfurthJedes Weltbild, es mag noch so unvollkommen sein, suggeriert den Eindruck innerer Geschlossenheit. Daraus aber erwächst für den Forscher die Gefahr, dass sich bei ihm ein Wahrnehmungsdefekt ausbildet, eine Art “blinder Fleck”, der ihm die bestehenden Wissenslücken verdeckt. ... Ich möchte Ihnen das an einer Erfahrung verdeutlichen, die sicher der eine oder andere von Ihnen auch schon einmal gemacht hat, wenn ihm ein altes Lexikon oder Lehrbuch aus Großvaters Zeiten in die Hände fiel. ... Wirklich interessant wird die Lektüre aber in dem Augenblick, in dem man nach Gründen zu suchen beginnt, aus denen man auf die uns geläufigen Antworten damals nicht gekommen war. Bei der Suche kann nämlich regelmäßig eine sehr erstaunliche Erfahrung machen: In den meisten Fällen stellt sich heraus, dass die Probleme nicht deshalb ungelöst blieben, weil ihre Lösung zu schwierig gewesen wäre, sondern deshalb, weil sie als Probleme überhaupt nicht gesehen wurden. Anders ausgedrückt: Die meisten Antworten wurden nicht gefunden, weil man die Fragen, die zu ihnen hätten führen können, erst gar nicht gestellt hatte.

Diese Aussagen sind erstes schon sehr betagt aber auch recht aufschlussreich. Hoimar v. Ditfurth (1921 - 1989) äußerte jene Sätze im Jahr 1973 in einem Vortrag.

Die folgenden Ausführungen entnehmen wir einem Buch eines anderen Autors:

Stanislaw LemDas Weltbild der Menschen jeder Epoche ist grundsätzlich von lückenloser Geschlossenheit. Zu keiner Zeit hielten sich die Menschen für allwissend, aber sie erkennen gewöhnlich auch nicht die Dimensionen der eigenen Ignoranz. Was sie nicht wissen, erscheint ihnen nicht als Loch, das in ihren Kenntnissen gähnt (die größten wissenschaftlichen Entdeckungen begannen in der Regel damit, dass man solche "Löcher" überhaupt erst feststellte).

Diesen Text schrieb 1979 der als Science-Fiction-Autor bekannte polnische Schriftsteller Stanislaw Lem (1921-2006) im Vorwort zu seinem Buch Summa technologiae.

Es ist doch interessant, dass zwei wirklich verschiedene Autoren völlig unabhängig (davon kann man wohl ausgehen) zu einem fast identischen Ergebnis gekommen sind. Bestimmte Einsichten liegen geradezu auf der Hand, zumindest dann, wenn der Blickwinkel nicht durch allzu weitgehende Spezialisierung arg eingeschränkt ist.

Es erhebt sich somit die Frage (zumindest, wenn man nicht blind ist für das Erkennen von Zusammenhängen, die das einzelwissenschaftliche Forschungsgebiet überschreiten), ob die aktuellen Forschungsgebiete und -themen die wirklich relevanten sind, jene nämlich, die dem Erkenntnisfortschritt tatsächlich dienen.

Im Beitrag Wissen ist die treibende Kraft ging es um ein vergleichbares Anliegen.

Zwei Problempunkte meiner Meinung nach sind die entscheidenden:

  1. Die Überschätzung des aktuellen Kenntnisstandes
  2. Die Unfähigkeit, zu erkennen, was für die aktuelle und künftige Forschung wirklich wichtig ist.

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Die Realität und deren Interpretation

24.09.2000

Unser Zugang zur Realität ist grundsätzlich ein indirekter. Dies hat Konsequenzen.

Die Aussagen der modernen Wissenschaften - speziell der Physik - sind teilweise recht weitreichend. So "weiß" man beispielsweise mit ziemlicher Sicherheit, wie das Universum entstanden sein muss.

Die Folgerungen aus den Theorien werden immer indirekter - und an Konsequenzen immer reicher. Die "dunkle Materie" in galaktischen und kosmischen Dimensionen ist eine davon. Viele Dinge "existieren" nicht durch eine direkte Beobachtung (hier wäre zu klären, wie "direkt" unsere Erfahrungen über "die Welt" überhaupt sein können), sondern durch indirekte Schlussfolgerungen aus bestehendem Wissen.

Letztlich läuft es darauf hinaus, dass es eine interpretationsfreie Beobachtung und Messung überhaupt nicht gibt - nicht geben kann. Dies tritt zwar im Rahmen der modernen Physik besonders deutlich in Erscheinung, ist aber nicht grundsätzlich neu.

Schon bei der Erfassung der Realität im täglichen Umgang mit ihr haben wir es immer mit - angeborenen und erlernten - Formen der Interpretation der Sinneseindrücke zu tun.

Wir nehmen "die Welt" nicht so wahr, wie sie ist, sondern so, wie wir sie im Rahmen unserer Möglichkeiten wahrnehmen können . Das ist genau genommen alltägliche Erfahrung.

Auch die Philosophen haben sich dieses Themas angenommen - seit Jahrtausenden schon. Dies führte zu den verschiedensten Auslegungen bis hin zur Leugnung der Realität als solche oder zu dem unerkennbaren "Ding an sich" eines Immanuel Kant. Auch die pragmatische Sichtweise kam zu ihrem Recht. Wenn wir die Realität schon nicht wirklich erfahren können, so haben wir immerhin die Möglichkeit, unsere Kenntnisse mehr oder weniger erfolgreich anzuwenden.

Betrachtet man die Erkenntnisse der Quantenphysik, so scheint der pragmatische Standpunkt voll zum Tragen zu kommen. Man versteht zwar nicht so recht, was im Bereich der "Quantenobjekte" wirklich geschieht, aber man kann das gegebene Wissen in Gestalt mathematischer Modelle sehr erfolgreich anzuwenden .

Das Problem aber: Wenn es gewisse Unsicherheiten gibt (nur ein unverbesserlicher Ignorant dürfte dies bestreiten), so sollte man große Vorsicht walten lassen, wenn man den unmittelbaren Erfahrungsbereich verlässt. Bereits die Dynamik der Galaxien ist im Rahmen der "direkten" astronomischen Beobachtung nicht recht verständlich, wenn wir unsere vorhandenen Kenntnisse (klassische Mechanik, Relativitätstheorie und anderes astrophysikalisches Wissen) zu Rate ziehen. Hier gibt es zwei Möglichkeiten, die Beobachtungstatsachen zu interpretieren:

  1. Die bisherigen Theorien müssen revidiert werden.
  2. Da sich die traditionellen Theorien "endgültig" bewähren konnten, kann man nur zu dem Schluss gelangen, dass es neben der mit herkömmlichen Mitteln nachweisbaren Materie noch andere Massen geben muss, deren Existenznachweis in diesem Fall ein indirekter ist.

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Die Wissenschaft geht grundsätzlich den zweiten Weg. Kein Mensch kann aber sagen, ob dies der richtige Weg ist, es sei denn, die "dunkle Materie" wird noch auf andere Weise unabhängig nachgewiesen. Meines Wissens sind bislang noch keine Erfolge zu verzeichnen.

 

 

 


 

Zwei Welten

01.10.2000

Irgendwie scheint die Welt zweigeteilt zu sein. Hier ICH - und dort draußen der Rest der Welt. Dort der Himmel mit seinen eigenen Gesetzen - und hier die von uns (scheinbar) direkt erfahrbare Realität.

Hier das Licht - und dort die Finsternis.
Hier die Wärme - und dort die Kälte.

Die Naturwissenschaften konnten einige Dinge klären. So ist - das weiß nun jeder - Dunkelheit die Abwesenheit von Licht. Und Kälte ist die Abwesenheit von Wärme.

Nicht nur dies: So erscheint die - einstmals - qualitative Kluft zwischen "verschiedenen" Erscheinungen lediglich als quantitative Abstufung eines Phänomens. Und spätestens seit Isaac Newton gelten im (astronomischen) Himmel und im "irdischen Jammertal" die gleichen physikalischen Gesetze (der "theologische Himmel" bleibt davon unberührt).

Julien Offray de La MettrieNur mit dem Gegensatz von Geist und Materie tut man sich immer noch schwer. So richtig vorangekommen ist man hier immer noch nicht. Doch glaubten einige "Ketzer" bereits im 18. Jahrhundert, der Lösung ziemlich nahe zu sein. Für Julien Offray de La Mettrie (1709-1751, siehe Bild) ist "Der Mensch eine Maschine". (Dies ist der Titel seines Hauptwerkes). Nun wissen wir heute, dass die Sache nicht ganz so einfach ist, wie man es einstmals dachte. (Der "mechanistische Materialismus" wurde in die Schranken gewiesen.)

Ausschließlich in den Naturwissenschaften - insbesondere in der Physik - hat man den Dualismus überwunden. Sollte man denken.

Leider ist dem nicht so. Seit nunmehr fast einhundert Jahren "existieren" mindestens zwei Welten: Die Welt der klassischen Physik und die Welt der Quanten beispielsweise.

So können wir in den Physikalischen Blättern (Heft 10/2000, S. 65) nachlesen (Dr. Bader , Physiklehrer und Lehrbuchautor aus Ludwigsburg):

Nur am Rande erfahren die Schüler, dass hier [im Bereich der Quanten, W.N.] völlig neue Gesetze walten; man vergeudet viel Zeit und Überzeugungskraft, den Entweder-oder-Dualismus [Hier ist der Dualismus-Begriff etwas anders, mehr technisch, zu verstehen, W.N.] "Welle-Teilchen" glaubhaft zu machen.
(...)Vor allem soll im 13. Schuljahr die in der klassischen Physik bewährte Anschauung zurücktreten. Die Schüler sollen erfahren, dass Quantenphysik abstrakt ist, kein "unscharfes" Anhängsel der klassischen Physik.

Also: Die Quantenphysik ist durch "völlig neue Gesetze" gekennzeichnet; und anschaulich sind diese Gesetze schon gar nicht.

Und hier haben wir ihn wieder (eher immer noch) diesen Dualismus: Es gibt eine unüberwindbare Grenze, welche die Welt der (abstrakten und unverständlichen) Quanten von der Welt der dem "gemeinen Verstand" durchaus zugänglichen klassischen Physik scheidet.

Lassen wir uns von den (vermeintlichen) Erfolgen der modernen Physik nicht beirren, so haben wir (wenn wir es denn wollen) nur zwei Möglichkeiten, diesen Dualismus zu
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überwinden: Entweder es gelten "völlig neue Gesetze", dann aber - hier sollte man konsequent sein! - für die gesamte Physik. Oder aber die "völlig neuen Gesetze" der Quantenobjekte erweisen sich als Hilfskonstruktionen, die bestenfalls zur quantitativen Modellierung taugen, aber nicht als Erkenntnisse betrachtet werden dürften. Und: Abstrakt ist nicht die (Quanten)Physik, sondern es sind die Modelle, die man zur Beschreibung der quantenphysikalischen Zusammenhänge zur Anwendung bringt. Dies ist vielleicht nicht ganz so schlimm. Weniger akzeptabel erscheint mir die Tatsache, dass man diese Modelle als die einzige Beschreibungsform der Quanten-Realität betrachtet. Wenn dem aber so ist, so sind ungezügelten Spekulationen Tür und Tor geöffnet, und das Irrationale findet Einzug in die - nun nicht mehr ganz so exakte - Wissenschaft Physik.

 

 


 

Mathematik und Erkenntnis

11.10.2000

Die Anwendung mathematischer Methoden entscheidet darüber, ob eine Wissenschaft den Naturwissenschaften zugerechnet werden kann.

Die Naturwissenschaften hingegen beschäftigen sich ausschließlich mit Dingen, die der quantitativen Analyse zugänglich sind, und daher ist die Mathematik die geeignete Sprache für sie. ...Mathematik ist die Sprache der Naturwissenschaften, weil wir den Begriff  "Naturwissenschaften" auf all das beschränken, was sich mathematisch behandeln lässt. Wenn etwas nicht zumindest bis zu einem gewissen Grad mathematisch fassbar ist, ist es keine Naturwissenschaft.

Jene Sätze (und vieles mehr) sind nachzulesen im Buch Das Ende der Physik von David Lindley (deutsche Fassung 1994 bei Birkhäuser). Diese Aussage eines Physikers dürfte - erstens - wohl repräsentativ für die Einstellung der Mehrheit der Physiker zu sein und erscheint mir - zweitens - als eine sehr gefährliche Haltung, die allerdings auf eine etwa vierhundertjährige Tradition verweisen kann.

Gefährlich aus einem ganz einfachen Grund: Einerseits beanspruchen die Naturwissenschaftler für sich, die "einzig wahre Welterkenntnis" liefern zu können; doch andererseits betrachtet man "die Welt" aus einem derart eingeschränkten Blickwinkel, dass vom einstigen aufklärerischen Anspruch kaum noch etwas übrig bleibt. Und schließlich, nähme man den überzogenen Anspruch der Physiker ernst, wären weite Bereiche der Biologie - zum Beispiel - kaum den Naturwissenschaften zuzurechnen.

Ich glaube nicht, dass die Einstellung Lindley s ein einmaliger Ausrutscher in der Physik-Szene ist, wenngleich selten in dieser Schärfe und Eindeutigkeit artikuliert.

Selbst wenn man die quantitative mathematische Modellierung der Natur-Phänonene als Ziel anstrebt (ich persönlich möchte da einige Zweifel anmelden), so bliebe immerhin noch das "qualitative Zwischenstadium" zu akzeptieren, welches jede wissenschaftliche Analyse wohl durchlaufen hat und auch durchlaufen muss. Und schließlich sollte man hinter den mathematischen Relationen nicht die Realität aus den Augen verlieren, zu deren Beschreibung jene doch dienen sollten. Hier kommt man nicht umhin, zumindest auf die Physik bezogen, zu konstatieren, dass sich die Mathematik vom Hilfsmittel zum Selbstzweck entwickelt hat.

Dies hat weitreichende Folgen. Die Verselbständigung der mathematischen Abstraktionen führt u.a. zu nicht mehr kontrollierbaren Phantasiekonstrukten in der Physik. Und die damit einhergehende Einschränkung des Blickwinkels (Stichwort: Spezialisierung) erschwert es immer mehr, die wirklich wichtigen Fragen und Zusammenhänge zu entdecken, ohne welche die naturwissenschaftliche Forschung zur "toten", sich selbst genügenden und letztlich gesellschaftlich irrelevanten
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Tätigkeit wird.

Das Argument, dass die allseits bekannten technischen Errungenschaften meine Behauptungen Lügen straft, zieht nicht. Noch zehrt die Technik von den Erkenntnissen des 19. Jahrhunderts und des beginnenden 20. Jahrhunderts. Es sieht so aus, dass wir eine Grenze erreicht haben, die dem technischen Fortschritt mit den derzeit gegebenen Erkenntnissen gesetzt ist.

Vielleicht ist das auch gut so.

 

 


 

Begriffe

14.10.2000

Die Physik und die Verwendung undefinierter Begriffe. Welche Konsequenzen hat das?

Analysiert man Aussagen von Politikern, so handelt man sich enorme Probleme ein. Meist gibt es nicht geringe Schwierigkeiten, aus Politikertexten einen Inhalt herauszufiltern. Ist beispielsweise aus irgend einer politischen Ecke aus irgend einem Anlass vom "drohenden Sozialabbau" die Rede, so stelle ich mir (in meiner unverbesserlichen Naivität) die Frage, was mit "Sozialabbau" denn konkret gemeint sein könnte.

Steige ich tiefer in die Problematik ein (oder versuche es wenigstens), so werde ich mit einem kaum noch überschaubaren Netz von gesellschaftlichen Abhängigkeiten konfrontiert, von dessen Verständnis ich "unendlich" weit entfernt bin. (Nicht mein augenblickliches Thema.)

Aber Worthülsen, gleich welcher Schattierung, "verkaufen" sich anscheinend recht gut. Oder auch nicht. Je nach dem. Der Wähler hat ja die Wahl. So er denn wählt.

Das "Schöne" eben ist, schwammige Begriffe lassen einen gewaltigen Interpretationsspielraum zu. So ist es auch gewollt. Man bezweckt eben etwas. Und die Zielgruppen kennt man ebenfalls. Man spricht Emotionen an - nicht den Verstand. Zumindest versucht man dies. Und es funktioniert im Allgemeinen auch ganz gut. (Ob das aber wirklich gut ist, darf bezweifelt werden.)

Der schlampige Umgang mit der Sprache spielt im alltäglichen Alltag nicht die ganz große Hauptrolle. Irgendwie kommt man schon klar. Mal besser - mal schlechter. Da ist es doch tröstlich, wenn man weiß, dass in den Wissenschaften die verwendeten Begriffe exakt definiert sind und voneinander streng abgegrenzt verwendet werden. Wie sonst wären saubere Aussagen möglich. Von den Aussagen der Wissenschaftler hängt ja einiges ab. Ein ganzes "Welt"-Bild beispielsweise. Und der Einsatz der - oft nicht unbeträchtlichen - Gelder für die wichtigen Forschungsprojekte ebenso.

Wer solches annimmt, liegt leider völlig falsch. Wer die Mühe nicht scheut, über die Grundbegriffe der Physik nachzudenken, erlebt ein klägliches Fiasko. Es klingt unglaublich, und dennoch ist es wahr: Alle Begriffe der klassischen Mechanik beispielsweise (hier finden wir die historische und logische Basis der Physik) werden undefiniert verwendet oder gehen aus Zirkeldefinitionen hervor. Ich möchte hier nur als besonders krasses Beispiel den Massenbegriff nennen. (Ausführlicher dazu in meinem DPG-Beitrag von 1998).

Selbst kompetente Kritiker aktueller Schulweisheit finden dies nicht sonderlich schlimm. Man kennt es ja nicht anders. Und, was "schon immer so war", soll "auch immer so bleiben". An altbewährten Dingen hat man nicht herumzumäkeln.

Das mag stimmen, solange wir über den altbewährten und altbekannten Gartenzaun nicht doch einen ganz kleinen Blick in die "große weite Welt" riskieren. Hier könnten sich unsere altbewährten Denkgewohnheiten - auch die wissenschaftlichen - als unzulänglich erweisen.

Wo der "Gartenzaun" unseres "Welt"-Bildes endet, ist schwerlich abzugrenzen. Jedenfalls beginnen die Unsicherheiten mit Sicherheit bereits jenseits unseres Sonnensystems. Und wenn wir einen Blick über unsere Galaxis hinaus in die Tiefen des Weltalls wagen, so sollten wir mit Schlussfolgerungen nicht gar zu großzügig umgehen. Und wenn wir das Universum (schon die Anwendung dieses
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Begriffes birgt Probleme) zum Gegenstand unseres Denkens machen, so riskieren wir durchaus, uns der Lächerlichkeit preiszugeben.

Meiner Meinung nach gibt es nur zwei Menschengruppen, die bei der Definition von Begriffen vor derenAnwendung (fast) keine Kompromisse dulden (doch selbst hier gibt es Schwierigkeiten): Die Juristen und die Mathematiker. Die Physiker gehören leider nicht dazu!

 

 


 

Alice im Wunderland

02.11.2000

Was haben Alice im Wunderland und die Wissenschaft gemeinsam? - Viel nicht. Oder vielleicht doch ein ganz klein wenig?
Lewis Carroll
Lewis Carroll
1832 - 1898

"... und ich wäre dir dankbar, wenn du nicht dauernd so schnell verschwinden und wieder auftauchen würdest. Das macht einen ja ganz schwindlig!"
"In Ordnung", sagte die Katze, und diesmal verschwand sie ganz langsam, zuerst das Schwanzende und zum Schluss das Grinsen, das noch einen Augenblick in der Luft hing, als der Rest schon nicht mehr zu sehen war.
"Also so was! Ich habe schon häufig eine Katze ohne Grinsen gesehen", dachte Alice, "aber ein Grinsen ohne Katze! Das ist wirklich das Kurioseste, was mir in meinem ganzen Leben begegnet ist!"

Nun ist der kleinen Alice - wer kennt sie wohl nicht (und sie dürfte mittlerweile fast 150 Jahre alt sein) - im Wunderland reichlich Wundersames passiert. Interessanterweise bin ich auf diese Textpassage irgendwann einmal durch ein Wörterbuch der Philosophie aufmerksam geworden.

Nun könnte man meinen, dass "Alice im Wunderland" und die Philosophie nicht besonders viel gemeinsam haben. Aus diesem Grund zitiere ich nun einen Text aus besagtem Wörterbuch ("Wörterbuch der Philosophie" von R. Hegenbart, 1984 München, Stichwort Zeit):

Gegenpol: -> Raum, höchste Abstraktion des (Vor- und) Nacheinander von Ereignissen. Der Begriff Zeit widerspiegelt die formal quantitative Seite des Nacheinanders, im Unterschied zu dem der Veränderung, der die inhaltlich qualitative Seite darstellt... Die u.a. bei -> Newton auftretende Frage, ob die Zeit absolut ist, d.h. auch "vergeht", wenn nichts da ist, was sich verändern könnte, ist eine Folge der hohen Abstraktionsstufe und der sprachlichen Formulierung: Zeit ist ein sehr selbständiger Begriff; dieser scheint daher auf einen ebenso selbständigen Gegenstand zu verweisen. Betrachtet man die Z. noch etwas konkreter als Nacheinander, so wird zweifelhaft, ob das unabhängig von Ereignissen sein kann, die sich einander als Vorher-Nachher zuordnen lassen. L. Carroll läßt in seiner Geschichte "Alice im Wunderland" eine stark lächelnde Katze auftreten, die ganz allmählich, Stück für Stück, verschwindet. Zuletzt bleibt nur das Lächeln zurück.

Alle Veränderungen "hängen" an der Zeit.
Ich habe keine Zeit.
Die Zeit vergeht.

Die Zeit also ist etwas. Etwas sehr Mysteriöses obendrein. Und im sprachlichen Umgang tun wir so, als wäre sie etwas von uns und der materiellen Realität völlig Unabhängiges. Dies kommt formal in der Physik beispielsweise dadurch zum Ausdruck, dass sie in den Gleichungen in denen sie auftritt, als "unabhängige Variable" fungiert. Und alle "zeitabhängigen" Prozesse gelten als "determiniert" dergestalt, dass der Systemzustand zu einem beliebigen Anfangs-Zeitpunkt eindeutig alle Systemzustände zu allen Zeiten in "Vergangenheit" und "Zukunft" bestimmt. Der Zufall hat - zumindest prinzipiell - keine Chance.

Nun wissen wir aus der Praxis, dass dem mit Sicherheit nicht so ist. Auch in der Quantenphysik hatte man sich - noch im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts - sehr kontrovers mit der Problematik der "Indeterminiertheit der Quantenobjekte" auseinandergesetzt. Selbst Einstein war der Überzeugung: "Gott würfelt nicht."

Es würde wohl zu weit führen, in einem kurzen Beitrag, alle Aspekte auch nur anzudeuten. Doch könnte das Erlebnis der kleinen Alice einige sonst schwerer fassbaren Zusammenhänge veranschaulichen.

Das meiner Meinung nach sehr schwerwiegende Problem liegt in der Verselbständigung bestimmter Begriffe (Raum, Zeit, Kraft) besonders in der Physik. Hier werden diese Begriffe, vom realen Geschehen völlig losgelöst, als eigenständige Wirklichkeiten betrachtet. Dies ist meiner Überzeugung nach die Quelle für äußerst schwerwiegende Fehler im wissenschaftlichen Erkenntnisprozess.

Im Alltag haben wir sicherlich keine Probleme damit. Doch wagen sich die Wissenschaftler in Bereiche (kosmische Strukturen auf der einen Seite und subatomare auf der anderen), die mit unserer unmittelbar erlebbaren Erfahrung recht wenig gemein haben. Da "weiß" man mit ziemlicher Präzision wie groß und wie alt das Universum ist. Und vieles andere weiß man ebenfalls.

Man sollte skeptisch sein.

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Ich kann mir nicht helfen, wenn ich bestimmte Erkenntnisse der modernen Wissenschaften zur Kenntnis nehme, muss ich unwillkürlich an "Alice im Wunderland" denken. Dort verschwindet eine grinsende Katze und lässt zum Schluss für kurze Zeit nur noch das Grinsen zurück (ohne Katze).

Im Wunderland ist das wohl möglich. Aber in der Realität?...

Wer das Thema nicht gar zu langweilig findet, der kann hier weiter lesen:


 

Das Experiment und die Wahrheit

19.11.2000

Experimente (und Beobachtungen) entscheiden über die Richtigkeit von Hypothesen und Theorien. Wenn es denn wirklich so einfach wäre! Wilhelm Conrad Röntgen

Da gibt es eine Reihe von Forschungsprojekten, die sich irgendwie mit Fragen befassen, deren Antworten - zunächst - für den Durchschnittsbürger von ziemlich zweitrangiger Bedeutung sind. Das war in der Vergangenheit fast immer so. Es gab nur wenige Entdeckungen, die in kurzer Zeit von der Erkenntnis zur praktischen Nutzanwendung sich entwickelt haben. Die Entdeckung der Röntgenstrahlen bildete eine der nicht gerade häufigen Ausnahmen. Wilhelm Conrad Röntgen (1845-1923, Bild rechts) entdeckte 1895 die später nach ihm benannten Strahlen. Und für diese Entdeckung erhielt er 1901 (nach nur sechs Jahren - es ging damals unglaublich schnell!) den Nobelpreis für Physik. Dies war die erste Preisverleihung überhaupt.

Rötgen HandDoch weitaus schneller noch reagierte die Industrie. Schon wenige Monate nach der Entdeckung der "X-Strahlen" wurde bei SIEMENS die erste Röntgenanlage gebaut. Hier lag allerdings die mögliche Nutzanwendung des Phänomens geradezu auf der Hand. So war es denn auch die Hand seiner Frau (Bild links), von der Röntgen höchstselbst am 22. Dezember 1895 eine "Röntgenbild" erhielt.

Wie dem auch sei, der Weg von einer - unvorhergesehenen und oft unvorhersehbaren - Entdeckung bis zur praktischen Nutzanwendung war und ist im allgemeinen weitaus länger und auch langwieriger. (vgl. Die Forschung und der Nutzen). Und so kann man wirklich nicht erwarten - und man darf es auch nicht -, dass die Grundlagenforschung von vielleicht möglichen, eventuell in ferner Zukunft liegenden, Nutzanwendungen sich leiten lässt.

Hier allerdings taucht das Problem auf (vgl. Wer soll das bezahlen?), dass der Aufwand der Experimentalphysik im allgemeinen mit den vor hundert Jahren noch üblichen Laborforschung nicht vergleichbar ist.

Und zu den Großprojekten der Experimentalphysik gehören nun einmal die Beschleuniger und Speicherringe. Diese Anlagen haben heutzutage gewaltige Ausmaße erreicht und dienen ausschließlich der Erkenntnisgewinnung. Zwei europäische Zentren der Teilchenphysik seien hier beispielsweise, stellvertredend für alle anderen, genannt: Das Deutsche Elektronen-Synchrotron (DESY) in Hamburg sowie das CERN (ursprünglich: Conseil Européen pour la Recherche Nucléaire, offizieller Name jetzt: Organisation européenne pour la recherche nucléaire) bei Genf.

Und um letzte "Organisation" soll es in den nachfolgenden Ausführungen gehen. So erreichte den interessierten Leser am 8. November des Jahres 2000 - auf den Tag genau 105 Jahre nach der denkwürdigen Entdeckung der "X-Strahlen" durch Röntgen - die Meldung, dass man am CERN die Suche nach den "Higgs-Bosonen" eingestellt habe (Quelle: rp-online). Der LEP-Beschleuniger wurde abgeschaltet. Hier war man auf der Suche nach den so genannten Higgs-Bosonen, wichtiges Glied des "Standardmodells" der Teilchenphysik.

Die Versuche wurden abgebrochen, obwohl man weder eindeutig den Nachweis erbracht hatte, dass es diese "Dinger" gibt, noch, dass sie nicht existieren! (Und außerdem: die Amerikaner machen ja am Fermi-Lab weiter.)

Die alles entscheidende Frage im jetzigen Zusammenhang: Wann ist eindeutig entschieden - und von wem wird entschieden -, ob ein Experiment erfolgreich oder erfolglos (im Sinne der Theorie) war? - Das hier angeführte Beispiel zeigt, dass diese Frage nicht immer eindeutig und objektiv beantwortbar ist. Einerseits scheint es verantwortungslos, ein Projekt vorzeitig abzubrechen, ebenso verantwortungslos ist es sicherlich, unnötige Mittel in eine nicht erfolgversprechendes Vorhaben zu investieren. Ich mag darüber nicht vorschnell urteilen.

Was jedoch haben nun die Röntgenstrahlen mit den gewaltigen Teilchenbeschleunigern am CERN zu tun?

Nicht viel. Die X-Strahlen wurden zufällig entdeckt. Und Röntgen begann anschließend mit einer genauen Untersuchung des Phänomens und erkundete die Eigenschaften der neuen unsichtbaren Strahlen. Die Frage nach der Wahrheit wurde nicht gestellt. Es galt ja nicht, eine Theorie zu beweisen oder zu widerlegen (das Widerlegen fällt ohnedies weitaus schwerer als das Bestätigen).

Heinrich HertzDa hatte Heinrich Hertz ab 1886 schon mit anderen Problemen zu kämpfen, als es galt, die elektromagnetischen Wellen nachzuweisen. Hier gab es bereits die Maxwell sche Theorie des elektromagnetischen Feldes. Und die Hertzschen Versuche brachten den - endgültigen! - Beweis für die Wahrheit der zugrundeliegenden Theorie. An diesem Wahrheitsgehalt konnten auch andere Experimente nicht rütteln, die den Weg wiesen in die "Quanten-Realität". Experimente waren dazu da, Voraussagen der Theorien auf ihren Wahrheitsgehalt hin zu überprüfen.

Und die Experimente der Teilchenphysiker sind eine Steigerung dessen, was vorher die Experimentalphysik zu bieten hatte und hat.

 

 

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Welche Steigerungen wird man sich somit noch einfallen lassen, wenn die bisherige Technik versagt und nicht in der Lage ist, weil "zu klein", eindeutige Resultate zu bringen? Irgendwann "geht es nicht mehr weiter". Ist dann das "Ende der Physik" erreicht? Ich habe dabei ein ungutes Gefühl. Irgend etwas stimmt hier nicht.

Doch was zählen schon subjektive "Gefühle"! Aber darüber, was - im naturwissenschaftlichen Sinne - "Wahrheit" bedeutet, sollte man durchaus bereit sein nachzudenken. (Vielleicht komme ich in einem künftigen Text auf dieses Thema noch einmal zurück.)

 


 

Erkenntnis und Wahrheit

06.12.2000

Aussagen können wahr oder falsch sein. Einfacher geht es nicht. In der Physik sieht man dies anscheinend völlig anders.

Im alltäglichen Sprachgebrauch hat man es im allgemeinen mit dem Begriffspaar Wahrheit und Unwahrheit zu tun. Handelt es sich bei der Unwahrheit um eine bewusste Falschaussage (die Motivation ist hier nebensächlich), so handelt es sich eben um eine Lüge.

Jedenfalls haben wir es mit Aussagen zu schaffen, denen ein bestimmter Wahrheitswert zugeordnet werden kann: wahr oder falsch . Damit haben wir, klammern wir die subjektiven Unwägbarkeiten erst einmal aus, kaum grundsätzliche Schwierigkeiten.

In der Wissenschaft sieht dies schon ein wenig anders aus. Hier haben wir es ebenfalls mit Aussagen zu tun, die entweder wahr sein können oder eben auch falsch . Das Problem hier allerdings: Es ist nicht leicht, einer (z.B. physikalischen) Aussage einen solchen Wahrheitswert eindeutig und unwiderruflich zuzuordnen.

Karl Popper sprach von der "objektiven Wahrheit" , womit er sich von bestimmten subjektivistischen und relativistischen Anschauungen, die jene objektive Wahrheit generell leugnen, zu distanzieren bemühte. Für Popper war ein Kriterium für die Wissenschaftlichkeit von Aussagen, Hypothesen und Theorien, dass sie kritisierbar zu sein hatten, wobei er unter "kritisierbar" ausschließlich "falsifizierbar" verstand.

Eine Aussage (Hypothese, Theorie) ist nie endgültig verifizierbar, aber jederzeit falsifizierbar. Der objektive Wahrheitsgehalt wird dabei nicht in Frage gestellt, jedoch unser Wissen um jene Wahrheit relativiert. Dieses Wissen wird immer unvollkommen und verbesserungswürdig sein.

Soweit die durchaus nachvollziehbare Theorie. Die Praxis sieht schon etwas anders aus. Denn jetzt spielen subjektive und gesellschaftliche Zusammenhänge trotz allem die gewichtige Hauptrolle, dies um so tiefgreifender, je weitgehender die Spezialisierung der Forschungstätigkeit die Bewertung deren Ergebnisse erschwert.

So gibt es in der Physik - ungeachtet erkenntnistheoretischer und methodologischer Erwägungen - dennoch "endgültig erwiesene" Theorien, die grundsätzlich nicht zur Disposition stehen. Solche Theorien besitzen - sollten empirische Hinweise dies nahe legen - einen Gültigkeitsbereich. Nun kann man solch einen "Gültigkeitsbereich" lediglich quantitativen Relationen zubilligen - nicht jedoch qualitativen Aussagen.

James Clerk MaxwellKonkretes Beispiel: Die Maxwellsche Elektrodynamik (James Clerk Maxwell , 1831 - 1879) konnte sich zum Ende des 19. Jahrhunderts endgültig (endgültig !!) etablieren, obwohl man sich Anfang des 20. Jahrhunderts vom Äther als dem Träger sämtlicher elektromagnetischer Erscheinungen sich verabschiedete. Das Feld als eigenständige physikalische Entität nahm dessen Platz ein.

Aussagen aber - dies behaupte ich - sind entweder wahr oder falsch.

Somit kann den Maxwellschen Gleichungen an sich kein Wahrheitswert (jedoch ein Geltungsbereich) zugeordnet werden. Nur deren (qualitative) Interpretation kann wahr sein oder auch falsch!

Damit lassen sich beispielsweise folgende zwei Aussagen formulieren:

  1. Das Maxwellsche Gleichungssystem beschreibt als Eins-zu-eins-Abbild eine reale, vom Betrachter unabhängige, objektive Realität.
  2. Das Maxwellsche Gleichungssystem beschreibt als Analogiemodell ganz bestimmte Wechselwirkungsverhältnisse unter ganz bestimmten Bedingungen.

Vor der Entdeckung der Quanteneffekte konnte man durchaus der Meinung sein, dass die erste Aussage wahr ist. Doch seit Formulierung der Quantenhypothese (Planck 1900), spätestens aber seit der Lichtquantenhypothese (Einstein 1905) wäre es erforderlich gewesen, den ersten Satz als falsch zu erkennen und ihn durch eine Aussage von der Art des zweiten Satzes zu ersetzen.

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Alle Experimente, die im Zusammenhang mit den Quanten stehen, hatten somit die erste Aussage falsifiziert!

Da aber die Maxwell sche Elektrodynamik "innerhalb ihres Gültigkeitsbereiches" sich "endgültig als wahr" erwiesen hatte, machte man sich über deren Interpretation auch dann keine Gedanken, als unüberwindlich scheinende Denkschwierigkeiten auftraten.

Der Stand der Dinge: Hundert Jahre nach der Planckschen Quantentheorie hat sich - nun unwiderruflich - ein pragmatischer Standpunkt etabliert, der jede Frage nach der Wahrheit im Keim erstickt.

 


 

Reduktionismus

04.01.2001

Es geht um die Beantwortung bestimmter Fragen. Und irgendwie sollen die Antworten irgend etwas erklären.

"Lob des Reduktionismus", so lautet die Überschrift eines Kapitels des 1992 erschienenen Buches Dreams of a Final Theory. Autor ist der Nobelpreisträger Steven Weinberg . Die deutsche Übersetzung wurde bereits ein Jahr später unter dem Titel Der Traum von der Einheit des Universums herausgegeben. Auch wenn man nicht in allen Punkten die Meinung dieses prominenten Physikers vertritt, so ist die Lektüre durchaus empfehlenswert. Hier der erste Satz genannten Kapitels:

Wenn Sie danach fragen, warum die Dinge so sind, wie sie sind, und man Ihnen als Erklärung irgendein wissenschaftliches Prinzip nennt und Sie weiterfragen, warum dieses Prinzip wahr sei, und wenn Sie wie ein ungezogenes Kind mit Ihrem 'Warum' fortfahren, wird irgend jemand Sie früher oder später einen Reduktionisten nennen.

Irgendwie ist es immer das Ziel der Wissenschaften gewesen, die komplexe Realität zu verstehen, indem man sie sowohl auf einfachere Zusammenhänge zu "reduzieren" sich bemühte als auch auf die - irreduziblen! - Eigenschaften der "Elemente der Realität" zurückführen wollte. Dieser "Reduktionismus" beherrscht nach wie vor die Mehrheit der Physiker.

Was aber sind "die einfacheren Zusammenhänge"? Ab welcher Fragestellung hört die ganze "Reduziererei" nun auf? - Allgemein sind wir nicht in der Lage, diese Frage sinnvoll zu beantworten. Aber ein Beispiel möchte ich nennen: Die elektrische Ladung gilt als irreduzible Eigenschaft bestimmter Elementarteilchen. Und ebenso die Masse wird als eine nicht auf andere Bestimmungsgrößen oder Zusammenhänge rückführbare Eigenschaft der Materie angesehen. Damit hat man sich abzufinden, weil alle auf dieser Annahme beruhenden Folgerungen nachweislich überprüf- und sogar anwendbar sind. Was wollen wir denn mehr!?

Eigentlich sind wir so klug wie vorher. Doch unterliegen die elektrischen Ladungen und die Massen ganz bestimmten quantitativen Gesetzmäßigkeiten (z .B. den Erhaltungssätzen). Und die sind dem Fachmann bekannt. Dem Physiker genügt dies. Doch wieso eigentlich? - Hier verweist man gern auf die mit diesem Stand der Kenntnis verbundenen Erfolge. Ich jedoch begnüge mich damit nicht und frage ganz unverschämt nach ("wie ein ungezogenes Kind"), was es mit diesen elektrischen Ladungen wohl auf sich haben mag. Nicht nur, dass man auf diese Frage (noch) keine Antwort weiß (das sollte man den Wissenschaftlern keineswegs ankreiden), doch hält man es nicht einmal für nötig, darüber nachzudenken und diese Frage überhaupt zu stellen. (Das allerdings wiegt schwerer.)

Was also eine "elektrische Ladung" nun wahrhaftig ist, werden wir vergeblich zu erfragen versuchen. Der Physiker kann mit all den Dingen vielleicht virtuos umgehen; aber von einem wirklichen Verständnis der Zusammenhänge kann keine Rede sein. Die elektrische Ladung ist eine jener "irreduziblen Eigenschaften" bestimmter Objekte, über die wir auf alle Fälle so viel wissen, dass wir den gesamten Begriffsapparat sehr gut beherrschen. Die Frage nach dem "Wesen der Ladung" wird als sinnlos deklariert.

Die "elektrische Ladung" ist keine Frage, sondern eine Antwort!

Was aber ist das "Wesen der Seele". Die Seele war einst eine "irreduzible Eigenschaft" des Menschen, zeitweise im Körper wohnend, aber grundsätzlich auch ohne ihn existenzfähig. Irgendwie ist das schon ziemlich eigenartig. Denn es gab eine Zeit, da wollte man auch das Leben "mechanistisch" erklären. Und der Mensch sei in Wahrheit nichts anderes, als eine - allerdings sehr komplizierte - Maschine. Und eine Eigenschaft - von vielen - der "Maschine Mensch", ist es, so etwas wie ein Bewusstsein entwickeln zu können. Die Wissenschaft anzuwenden bedeutete einstmals durchaus auch, jenen dualistischen Standpunkt aufzugeben und Schluss zu machen mit der Irreduzibilität der Seele, auch wenn dies einst auf recht naive Weise erfolgte. Aber dass die "Seele des Elektrons", die elektrische Ladung eben, eine seiner irreduziblen Eigenschaften ist, wird nicht einmal mehr erwähnt, so selbstverständlich ist das.

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Und, wenn wir etwas weiter nachfragen, so erhalten wir die Antwort, dass es in der Physik vier fundamentale (also irreduzible) "Kräfte" gibt, von denen auch jeder Laie mindestens zwei kennt: die Gravitation und die elektromagnetische Wechselwirkung. Zwei weitere "Kräfte" oder "Wechselwirkungen" begegnen uns in atomaren und subatomaren Gefilden. Und Ziel der Forschung nun ist es, ein einheitliches Bild zu finden, in das diese vier "Kräfte" sich einordnen lassen. Trotz angeblicher Teilerfolge, entzieht die Gravitation sich bisher sämtlichen Bemühungen, sich in einen solchen Rahmen einfügen zu lassen. Das ist insofern sehr interessant, weil diese Kraft es ist, mit der wir ständig umgehen müssen. Nichts Alltäglicheres gibt es, als dass wir unser eigenes Gewicht ein Leben lang spüren.

 


 

Bausteine

25.02.2001

Über die Komplexität der Welt und wie wir sie wahrnehmen.

Um Missverständnissen vorzubeugen: Natürlich ist man sich - in der Physik mit Sicherheit auch - bewusst, dass die Realität mitunter komplexer ist, als man dies vor nicht all zu langer Zeit noch vermutete. Wetterprognosen beispielsweise sind nur über einen begrenzten Zeitraum mit einiger Sicherheit möglich; danach verschwimmen sie in der Unergründlichkeit des Chaos. Mögen die Computer noch so leistungsfähig sein, irgendwann und irgendwo stößt man an prinzipielle Grenzen.

Nun war die Chaos-Forschung - vielleicht vor zwei Jahrzehnten etwa (so ganz genau weiß ich das nicht mehr) - geradezu zur Modeerscheinung geworden. Modeerscheinungen jedoch sind - wie das Wort besagt - nicht sehr langlebig.

Langlebiger jedoch - und oft auch viel älter - sind die tatsächlichen Probleme, mit denen sich die Wissenschaften befassten und zum Teil noch immer befassen. Eines dieser Probleme finden wir in der Auffassung, dass mit der Anerkennung der "Naturgesetze" auch deren Erkennung möglich sei. Und einen Aspekt dieser Überzeugung finden wir in der Vorstellung, dass alles Geschehen in der Welt geradezu "vorherbestimmt" sein müsse.

Holen wir also etwas weiter aus und lesen nach bei einem berühmten Vertreter des Mechanizismus, Pierre Simon Marquis de Laplace französischer Philosoph, Astronom, Physiker und Mathematiker (1749-1827):

Der momentane Zustand des 'Systems' Natur ist offensichtlich eine Folge dessen, was im vorherigen Moment war, und wenn wir uns eine Intelligenz [Dies ist der berühmt-berüchtigte Laplacesche Dämon, W.N.] vorstellen, die zu einem gegebenen Zeitpunkt alle Beziehungen zwischen den Teilen des Universums verarbeiten kann, so könnte sie Orte, Bewegungen und allgemeine Beziehungen zwischen all diesen Teilen für alle Zeitpunkte in Vergangenheit und Zukunft vorhersagen. Die Astronomie, der Teil unseres Wissens, der dem menschlichen Geist zur größten Ehre gereicht, gibt uns eine wenn auch unvollständige Vorstellung, wie diese Intelligenz beschaffen sein müsste. Die Einfachheit der Gesetze, nach denen sich die Himmelskörper bewegen, und die Beziehungen zwischen den Massen und Abständen erlauben der Analysis, ihren Bewegungen bis zu einem gewissen Punkt zu folgen; und um nun den Zustand dieses Systems großer Massen für zukünftige oder vergangene Jahrhunderte zu bestimmen, genügt es dem Mathematiker, dass ihre Orte und Geschwindigkeiten zu einem Zeitpunkt gegeben sind: Die Menschheit verdankt diese Möglichkeit den leistungsfähigen Instrumenten, die sie benutzt, und den wenigen Beziehungen, die man zu Berechnung braucht. Aber unser Unwissen um die verschiedenen Ursachen, die beim Werden eines Ereignisses zusammenwirken sowie ihre Komplexität zusammen mit der Unvollkommenheit der Analyse verhindern, dass wir die gleiche Sicherheit bei den meisten anderen Problemen haben. Es gibt also Dinge, die unbestimmt sind, die mehr oder weniger wahrscheinlich sind, und wir versuchen die Unmöglichkeit, sie zu bestimmen, dadurch zu kompensieren, dass wir die verschiedenen Grade der Wahrscheinlichkeit bestimmen. Es ist also so, dass wir einer Schwäche des menschlichen Geistes einer der schönsten und genialsten mathematischen Theorien verdanken, die Wissenschaft von Zufall und Wahrscheinlichkeit.

Hier erscheint die Unmöglichkeit der uneingeschränkten Vorhersage aller Prozesse des Weltgeschehens lediglich eine Folge unserer eigenen Unvollkommenheit und des menschlichen Unvermögens zu sein, alle Parameter der Welt zu erfassen und sie auch verarbeiten zu können. Zufall und Wahrscheinlichkeit verdanken - so sah man dies damals - ihre Existenz einer "Schwäche des menschlichen Geistes". Spätestens zu Beginn des 20. Jahrhunderts jedoch, als die Quantenphysik mit einigen Ungereimtheiten die Physiker zu verunsichern begann, wurde auch der Zufall nicht mehr als unser eigenes subjektives Unvermögen angesehen, die Wirklichkeit vollständig zu erfassen, sondern Bestandteil der Wirklichkeit selbst. Einen Haken hat diese Angelegenheit immer noch: Die Realität wurde zwar als kompliziert erkannt, jedoch nicht als komplex eingestuft.

Worin liegt der Unterschied?

Kompliziert ist vielleicht ein Haus. Aber jene Kompliziertheit ist durch arbeitsteilige Prozesse beherrschbar. Vom Entwurf des Architekten über die konkreten Bauzeichnungen und Berechnungen des Bauingenieurs bis hin zur Realisierung des Vorhabens durch die handwerklich Tätigen, bleibt ein solches Vorhaben noch halbwegs überschaubar. Sehen wir von den Logistik-Problemen einmal ab, die Großbaustellen so mit sich bringen können, birgt der Häuserbau keine unergründlichen Geheimnisse. Also: Es existieren irgendwelche Pläne, die die Voraussetzung liefern, aus gegebenen Bausteinen, Bauelementen und Baugruppen usw. (dies gilt für die Technik schlechthin), ein Produkt herzustellen. Die Eigenschaften der Bausteine (etc.) selbst sind unabhängig von dem Gesamtgebilde, welches aus ihnen zusammengesetzt werden soll. Und somit ist es möglich, mit Hilfe eines Planes aus einer endlichen Vielfalt von Bausteinen eine potenziell unendliche Vielfalt von Produkten herzustellen. Davon "lebt" die gesamte heutige Technik: vom LEGO -Baukasten bis hin zum Mikroprozessor.

Ein Aspekt der Komplexität bei materiellen Systemen tritt dann in Erscheinung, wenn einerseits die Eigenschaften eines Systems nicht mehr auf die Eigenschaften der Elemente des Systems reduziert werden können, und wenn andererseits die Eigenschaften der Elemente nicht mehr losgelöst vom System existieren, dessen Bestandteil sie sind.

Nun basierte der klassische Determinismus u.a. genau auf jener naiv-reduktionistischen Vorstellung, welche die Welt als aus Bausteinen mit ihren eigenen und stabilen Eigenschaften zusammengesetzt betrachtete. Diese naive Vorstellung wurde zwar relativiert, aber nicht gänzlich zu den Akten gelegt . Dies beweisen die Teilchenphysiker, die mit immer größeren Beschleunigern den Bausteinen der Materie auf den Pelz rücken wollen, um deren Eigenschaften in Erfahrung zu bringen.

Denn - so der unerschütterliche Glaube - wenn man die Eigenschaften der Bausteine kennt, dann kennt man die ganze Welt.

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Hat sich somit an der durchaus als veraltet geltenden Einschätzung eines Marquis de Laplace grundlegend etwas geändert, was den Lauf der Grundlagenforschung auch grundlegend beeinflusst hätte?

Nun ja, den "absoluten Determinismus" hat man aufgegeben, aber bestimmte Grundhaltungen, die u.a. zu ihm führen konnten, spielen auch heute noch eine dominante Rolle.

 

 


 

Arbeitsteilung

26.04.2001

Ohne Arbeitsteilung läuft nichts. Doch die Arbeitsteilung in den Wissenschaften ist nicht gänzlich unproblematisch.
Henry Ford
Henry Ford
1863 - 1947

Es gab eine Zeit, da konnten sich nur Wohlhabende bis Reiche ein Auto zulegen. (Ob die Tendenz wieder in diese Richtung geht, bleibt abzuwarten. Doch ist dies nicht das augenblickliche Thema.) Jedenfalls hatte ein gewisser Henry Ford (1863-1947), er gründete 1903 die Ford Motor Company, anno 1913 eine recht brauchbare Idee, die sich letztendlich weltweit etablieren konnte: Die Montage am Fließband, ersetzte die bis dato übliche handwerkliche Produktionsweise. Hinzu kam die Standardisierung von Bauteilen und Baugruppen sowie sonstige Arbeitsteilung, beispielsweise in der Vorfertigung. (Ganz nebenbei: Ford gründete 1936 die Ford Foundation, eine Stiftung zur Förderung von Wissenschaft, Bildung und Wohlfahrt.)

Das "Prinzip Arbeitsteilung" war zwar nicht wirklich nagelneu, aber es wurde auf eine bis dahin noch nicht bekannte Weise perfektioniert. Der Arbeiter am Band - das gilt aber für alle Formen arbeitsteiliger Prozesse - hatte nur noch seine ganz speziellen Handgriffe zu beherrschen. Alles andere war uninteressant. Eine (relativ) niedrige Qualifikation der Arbeiter reichte aus, um durch eine kaum überschaubare Anzahl von Arbeitsschritten, ein Auto herzustellen.

Die Voraussetzung dafür, dass dies überhaupt funktioniert, liegt in der Vorbereitung der Produktion. Diese erfordert einen ungeheuer großen Aufwand, angefangen von den Konstruktionsunterlagen über die detaillierte Ausarbeitung des technologischen Ablaufes bis hin zur Konstruktion und Herstellung der speziellen Produktionsmittel (Anlagen, Maschinen, Vorrichtungen, Werkzeuge usw.). Dies ist eine dermaßen triviale Selbstverständlichkeit, dass man sie wirklich nicht ausdrücklich erwähnen muss.

Im Gegensatz zur Fertigung des eigentlichen Produktes - das gilt bekanntermaßen für alle Massenartikel - handelt es sich bei der Vorbereitung der Produktion (im o.g. Sinne) um hochqualifizierte Arbeiten, verbunden mit hohen technischen Investitionen. Doch lohnt der gesamte Aufwand nur bei großen Produktions-Stückzahlen, die auch abgesetzt werden müssen, um zu erschwinglichen Preisen auf dem Markt erscheinen zu können. Sonst funktioniert das Ganze nicht und macht auch keinen Sinn.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts, und im gesamten 19. Jahrhundert vorher auch, formte der allseits bekannte Aufschwung von Wissenschaft und Technik das gesellschaftliche Leben. Und noch zum Ende des 19. Jahrhunderts basierten die Fortschritte in Naturwissenschaft und Technik auf den Leistungen einzelner hervorragender Wissenschaftler, Erfinder und Industrieller. Diese Tradition schien noch bis zum Beginn des 2. Weltkrieges kaum infrage gestellt zu werden. Doch zeichnete es sich bereits in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ab, dass das sich immer weiter entwickelnde Wissen vom Einzelnen kaum noch überschaubar war, selbst innerhalb einer Wissenschaft nicht mehr.

Auch in der Physik begann eine immer tiefer greifende Aufspaltung in Fach- und Forschungsgebiete Fuß zu fassen. Und - spätestens - in der zweiten Hälfte eben jenes Jahrhunderts gab es den Physiker überhaupt nicht mehr, sondern nur noch eine Vielzahl einzelner Spezialisten, die sich jedoch mit immer spezieller werdenden Teilproblemen befassten, wobei jene Spezialisten zu ihren allgemeinen Fach-Kenntnissen spezifisches Wissen und Erfahrungen sich aneignen mussten. Anders schienen die stets umfangreicher werdende Informationen nicht zu bewältigen zu sein, und die immer spezieller werdenden Probleme ebenso nicht. Mit dieser weitgehend arbeitsteiligen Forschung wuchsen auch die materiellen Aufwendungen für die Wissenschaft. Ein Ende ist nicht abzusehen.

Vergleichen wir diese Form der Arbeitsteilung mit der eingangs erwähnten Form arbeitsteiliger (Fertigungs-)Prozesse, so finden wir einen grundlegenden Unterschied: In der Produktion ist vorher bekannt, was man will und kann und mit welchen Mitteln vorgegebene Ziele erreichbar sind. Die intellektuelle Leistung wird vor der eigentlichen Produktion erbracht , wobei die Produktion selbst nach vorgegebenen Technologien geradezu "automatisiert" erscheint. Zunächst nutzte man als "Automaten" nicht besonders hoch qualifizierte und auch nicht sonderlich gut bezahlte Arbeitskräfte, die als Beteiligte am "Gesamtkunstwerk" keine Ahnung von all den Zusammenhängen hatten, die für die Fertigung nun einmal notwendig sind. Da letztere später immer teurer wurden, ging man nach und nach dazu über, jene Menschen teil- und schrittweise durch "echte Automaten" zu ersetzen, nicht zuletzt in der Automobil-Produktion. Und ebenso wichtig ist: Das Baustein-Prinzip kam voll zur Geltung. Technische Systeme sind eben "zusammen gesetzt". Und so kann man alle damit im Kontext stehenden Probleme auf zu lösende Teil-Probleme reduzieren.

In der Forschung hingegen sind es gerade hoch qualifizierte - und hoch spezialisierte - Akteure, welche die eigentliche Arbeit erledigen. Eine Arbeit ist dies, bei der eben nicht vorher bekannt ist, was dabei herauskommt , dann wäre sie ja überflüssig. Die "Produktion" von neuem Wissen und neuen Erkenntnissen ist das Ziel, wobei es um das Erforschen des Unbekannten (Grundlagenforschung mit nicht immer exakt formulierbarer Aufgabenstellung) geht, oder um das Verbessern des Vorhandenen (anwendungsorientierte Forschung mit konkreten Ziel-Vorgaben).

Die entscheidende Frage ist, jedenfalls auf die Grundlagenforschung gemünzt: Können arbeitsteilige Prozesse hier überhaupt zu sinnvollen Ergebnissen führen? Und wenn ja, welches sind die Voraussetzungen dafür? Und wie kann man die Forschungsergebnisse bewerten, ohne über all jene Detailkenntnisse zu verfügen, die dazu eigentlich notwendig wären (vgl. Klimakatastrophe)?

Konkretes Beispiel: Muss ein Teilchen-Physiker, und sei es nur am Rande, über das Allgemeinwissen hinausgehende Kenntnisse in der Astronomie und der Astrophysik verfügen? Reicht es aus, die Quantenphysik anwendungsbereit zu beherrschen , oder sollten seine Kenntnisse schon etwas tiefer gehen und alle historischen und erkenntnistheoretischen sowie methodologischen Zusammenhänge mit einschließen? Helfen Querverbindungen zu anderen Wissenschaften (z.B. Chemie und Biologie) bei der Lösung spezieller Probleme? Sind - die Grundlagenforschung angehend - die anstehenden Probleme überhaupt in Teil-Probleme auflösbar? Und wenn nicht, welche Konsequenzen ergeben sich daraus?

Das Schlagwort von der "interdisziplinären Forschung" hilft uns nicht weiter. Hier wird das Problem - vielleicht - erkannt aber noch lange nicht gelöst. Und welchen Einfluss haben (oder sollten haben) allgemeingültige Erkenntnisse z.B. in der Systemtheorie, der Synergetik und der Chaos-Theorie. Letztere Wissensgebiete beschränken sich nicht auf die Physik, sondern haben Bedeutung in allen Wissenschaften - jedenfalls sollten sie diese Bedeutung haben.

Hier beginnt es schwierig zu werden: Einerseits kann ein Einzelner noch nicht einmal seine "eigene" Wissenschaft überblicken, doch andererseits ist grenzüberschreitendes Wissen vielleicht nötig, da es viele ungenutzte Erfahrungen gibt, die man eigentlich nutzen müsste, um überhaupt etwas erreichen zu können. Auch der Einwand, dass entsprechende interdisziplinäre Forschungsgruppen das Problem - zumindest prinzipiell - lösen könnten, zieht nicht. Hier wäre eine übergeordnete Instanz vonnöten, die diese Art der "Produktion von Erkenntnissen" plant, lenkt und (an)leitet. Das funktioniert nur dann (s.o.), wenn vorher all das bekannt wäre, was man ja erst ergründen will.

In diesem Beitrag wurden nur einige wenige Aspekte der Problematik der arbeitsteiligen (vgl. Die unterschätzten Vögel) Forschung angeschnitten. Fragen gestellt, aber nicht beantwortet. Fragen sind dies, die einen "ernsthafter Forscher", auf welchem Gebiet auch immer, überhaupt nicht interessieren , das er ja seine - ganz speziellen - Probleme zu lösen hat. Und derjenige, der sich - eventuell - dafür interessiert, hat keinen Einfluss auf das Wissenschaftsgeschehen, das eigenen Gesetzen unterworfen ist. Man kümmert sich halt um die ganz speziellen Fragen, die einen selbst interessieren.

Der Kreis schließt sich. Was in der materiellen Produktion und im sonstigen gesellschaftlichen Leben (fast reibungslos) zu funktionieren scheint, wirft bei der "ideellen Produktion von Erkenntnissen" viele ungeklärte Fragen auf. Hier scheinen wir auf Grenzen zu stoßen, die in der etablierten Wissenschaft mit all ihren Institutionen in Lehre und Forschung kaum zu überschreiten sind. (vgl. Tradition und Fortschritt). Letztlich hat man den Eindruck, dass die Wissenschaft auf vielen Gebieten (zwei Beispiele: Hirnforschung und Neurophysiologie sowie Energiegewinnung mit Hilfe der Kernfusion) auf der Stelle tritt. Seit einem halben Jahrhundert ungefähr. Das sollte zu denken geben. Auch die einheitliche physikalische Theorie hat es offensichtlich nicht sonderlich eilig, endlich entdeckt zu werden. Viele bisherigen Ziele, kaum glaubt man, sie erreicht zu haben, rücken, einer Fata Morgana gleich, wieder in weite Ferne.

Arbeitsteilige Prozesse funktionieren nur dort (wenn überhaupt), wo wir es mit bekannten und bewährten Dingen und Strukturen zu tun haben. Aber sogar da entwickeln viele Formen (Politik, Wirtschaft und Recht, um nur drei Beispiele zu nennen) eine kaum noch überschau- und beeinflussbare Eigendynamik. Das ist nun einmal das Los komplexer Systeme.

Und wenn Einzel- und Gruppeninteressen im Verein mit einem beschränkten Wissens- und Verantwortungshorizont das gesellschaftliche Geschehen weitgehend bestimmen, muss man mit eigenartigen, selten positiven, Entwicklungen rechnen.
Auch und gerade in den Wissenschaften!

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Zeitreise

06.05.2001

Eigentlich sollte man aus der Geschichte lernen. Auch aus der Geschichte der Wissenschaften.

Die ZeitmaschineAls Science-Fiction-Fan in etwas jüngeren Jahren legte ich Wert darauf, dass Sci-Fi-Geschichten zumindest einen Hauch von Realitätsbezug aufzuweisen hatten. Da war ich pingelig. Und Zeitreisen sind grundsätzlich unmöglich. Davon war ich schon als Jugendlicher überzeugt - und bin es heute noch. Und was - prinzipiell - unmöglich ist, hat selbst in einer Si-Fi-Story nichts verloren.

Der englische Autor Herbert Georg Wells (1866 - 1946) sah dies anscheinend etwas anders. Sein 1895 erschienener Roman Die Zeitmaschine zählt zu den Klassikern der utopischen Literatur.

Nun sind natürlich "prinzipielle Unmöglichkeiten" mit gewisser Vorsicht zu genießen. Man kann ja nie wissen, was in späteren Jahren noch so ausgeheckt wird. Aber Zeitreisen, da bleibe ich konsequent, werden auch in ferner Zukunft die Grenzen zum physikalisch Unmöglichen überschreiten. Da bin ich sicher. Und ob die literarischen Produkte mit solchen Unmöglichkeiten leben können, ist Ansichts- und Geschmacksache.

Aber mit bestimmten Fiktionen, da bin ich mittlerweile etwas toleranter geworden, kann man durchaus gedanklich spielen, um bestimmte Dinge zu veranschaulichen. Und Gedankenexperimente sind und bleiben eben Experimente gedanklicher Natur: Fiktionen, die auch dem Ziel dienen können, die Möglichkeit oder Unmöglichkeit irgend einer Sache nahe zu legen.

Heinrich HertzAlso schicken wir einen (fiktiven) "Zeitreisenden" auf die Reise in das 19. Jahrhundert, eingedenk der Tatsache, dass es sich eben um eine Gedanken-Spielerei handelt. Und dieser Mensch soll, sagen wir einmal, den Heinrich Hertz (1857-1894, siehe Foto) besuchen. In Karlsruhe. Ende Oktober des Jahres 1886.

Nun gelten natürlich auch für Historiker als Zeit-Reisende - man will ja wissen, was tatsächlich geschah - gewisse Regeln, die einzuhalten sind. Nur so unauffällig wie möglich beobachten. Auf keinen Fall eingreifen, um den Lauf der Geschichte nicht zu beeinflussen. Somit ist es selbstverständlich, dass der Zeitreisende sich der Zeit gemäß zu verhalten hat. Und Gegenstände aus der "falschen Zeit" haben auf einer Zeitreise nichts verloren. Aber mit dem Einhalten von Vorschriften war es schon immer eine unergründliche Angelegenheit...

Unser Wissenschaftshistoriker suchte also die Technische Hochschule Karlsruhe auf. Und irgendwie nahm er - "ganz unauffällig" (Einzelheiten sind nicht überliefert) - Kontakt auf mit dem jungen Professor Hertz . Dieser beschäftigte sich gerade mit "sehr schnellen elektrischen Schwingungen". Hertz führte zu diesem Zeitpunkt Versuche mit einem Induktorium (Ruhmkorffscher Funkeninduktor) und verfolgte mit einer Leiterschleife inklusive Funkenmikrometer die außerhalb des Induktors zu beobachteten elektrischen Entladungen.

Unser Zeitreisender hatte es geschafft, die Vorschriften zu umgehen. Zu den "verbotenen Gegenständen" zählte ein simpler Taschenrechner. Nun begab es sich, dass der Historiker aus Unachtsamkeit eben jenen Taschenrechner irgendwo liegen ließ. Diesen Verlust bemerkte er erst, als er wieder die Heimat-Zeit erreichte...

Das war die Vorgeschichte. Ob Professor Hertz diesen Taschenrechner letztlich fand, ist nicht überliefert worden. Aber, nehmen wir einmal an, ein solcher Gegenstand aus der Zukunft wäre bei jenem prominenten Physiker im 19. Jahrhundert aufgetaucht, so haben Spekulationen über einen solchen Vorfall einen durchaus tieferen Sinn.

Denn den Sinn eines Taschenrechners zu erraten, dürfte einen Gelehrten des 19. Jahrhunderts durchaus nicht schwer fallen. Und die Bedienung dieses Gegenstandes könnte durch die eindeutigen Symbole der Tastatur - auch ohne Anleitung - in kurzer Zeit zu beherrschen sein.

Ein solcher "Wundergegenstand" hätte aber zu jener Zeit grundsätzlich unlösbare Rätsel aufgegeben . Es wäre - prinzipiell - unmöglich gewesen, das Geheimnis jener "Rechenmaschine" zu lüften. Aus unserer retrospektiven Sicht ist es ein Leichtes, zu begründen, warum es damals unmöglich gewesen wäre, die Funktionsweise eines Taschenrechners - wie auch immer - zu ergründen. "Keine Macht der Welt" wäre damals dazu in der Lage gewesen. Ein solches Wunderwerk der Mikroelektronik lässt sich nicht mal eben schnell erfinden. Die Entwicklung von Wissenschaft und Technik nahm - das wissen wir rückblickend - einen Lauf, der grundsätzlich nicht voraussehbar war. Wenngleich die Arbeit des Experimentalphysikers Heinrich Hertz einen wichtigen Meilenstein dieser Entwicklung kennzeichnete, so hatte der jung verstorbene Wissenschaftler noch nicht einmal an eine Nutzanwendung seiner eigenen Arbeiten denken können.

Was also hätte ein Heinrich Hertz mit einem Taschenrechner anfangen können? Zunächst kann er ihn benutzen, ohne zu begreifen, wie das Ding funktioniert. Doch wird die Neugier groß genug sein, ihn zu öffnen, um hinter das Geheimnis dieses kleinen Gerätes zu kommen. Vielleicht wird er herausfinden, dass er es mit einer elektrischen Vorrichtung zu tun hat. Er wird eine aus einem seltsamen Material bestehende Platte entdecken. Darauf sind - seiner Vermutung nach aus Kupfer bestehend - dünne Bänder aufgeklebt. Zu einem "Klecks" aus einer undefinierbaren harten Masse führen viele dieser seltsamen "flachen Drähte", was ihn zunächst nicht sonderlich interessiert. Er kann ja nicht wissen, dass es sich bei diesem "Klecks" um das "Hirn" der "Rechenmaschine" handelt: den in Kunstharz eingegossenen Prozessor.

Und überhaupt: Schon all die eingesetzten Materialien geben Rätsel auf. Das alles bedarf einer näheren Analyse.

Natürlich bedarf es nur sehr geringer Phantasie unsererseits, zu "erraten", dass der Ausgang dieser Analyse nicht zu den gewünschten Resultaten führen kann. Es fehlen schlicht das Wissen und die technischen Voraussetzungen für alles. Wir wissen das. Wir können das einschätzen. Rückblickend.

Aber alle Experten des ausgehenden 19. Jahrhunderts wussten nicht einmal, was sie nicht wissen!

Sie waren nicht einmal in der Lage - und das ist keineswegs abwertend gemeint - den Grad ihrer Unwissenheit auch nur annähernd abzuschätzen! Im Gegenteil: Man war eher der Meinung, dass alle wesentlichen Erkenntnisse bereits gewonnen wurden und die künftige Forschung sich mit mehr oder weniger (un)wesentlichen Einzelheiten begnügen müsse.

So bedauerte Hertz selbst einmal:

Es tut mir wirklich manchmal leid, dass ich nicht damals [etwa das Jahrhundert vorher, W.N.] gelebt habe, wo es noch so viel Neues gab; es gibt zwar auch jetzt genug Unbekanntes, aber ich glaube nicht, dass noch jetzt so leicht etwas gefunden werden kann, was so umgestaltend auf die ganze Anschauungsweise einwirken kann wie in jener Zeit, wo Teleskop und Mikroskop noch neu waren.

Dennoch: Von der drahtlosen Telegraphie - Guglielmo Marconi (1874-1937) gelang 1901 die erste Funkverbindung über den Atlantik - bis hin zum Rundfunk (1923) bestand noch eine direkte Verbindung zur reinen Forschung des H. Hertz. Und die Erfindung der Elektronenröhre durch den englischen Physiker John Ambrose Fleming im Jahr 1905 bedeutete den Beginn der Elektronik im heutigen Sinne. Weitere Stichworte (eine kleine Auswahl) im Zusammenhang mit den notwendigen physikalischen Fachgebieten, Erfindungen und Entdeckungen: Quantenphysik, Festkörperphysik, Halbleiterphysik, Transistoren, Digitalelektronik, Mikroelektronik, Integrierte Schaltkreise, Mikroprozessor.

Die Entwicklung von Wissenschaft und Technik war weder voraussehbar, noch war sie in irgend einer Weise planbar. Eines fügte sich zum Anderen, wobei wesentliche Entdeckungen und Erfindungen - unabhängig voneinander - den Weg zu jenen technischen Errungenschaften führten, von denen ein industrielles Produkt eben der Taschenrechner ist, dessen Stammvater etwa 1972 "das Licht der Welt erblickte". Und bereits 1974 stellte die Firma Hewlett-Packard den ersten programmierbaren Taschenrechner her.

Die - in welthistorischen Dimensionen betrachtet - kleine Zeitspanne von noch nicht einmal 90 Jahren - von 1886 bis 1972 - ist im Hinblick auf die stattgefundene Entwicklung von Wissenschaft und Technik aus der Sicht des 19. Jahrhunderts grundsätzlich nicht überbrückbar. Somit erhebt sich die Frage nach der erkenntnistheoretischen Relevanz solcher Überlegungen aus heutiger Sicht. Und genau mit diesem Problem wird sich der nächste Beitrag befassen.

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Wissen wir, was wir nicht wissen?

12.05.2001

Fortgeschrittene Technologien geben unlösbare Rätsel auf. Zählen die Rätsel der Natur zu diesen?

Erkenntnistheoretische Überlegungen sind nun wahrhaft nicht neu. Doch möchte ich momentan niemanden mit der Aufzählung der einschlägigen "Ismen" und "Logien" langweilen. Erkenntnistheorie als Bestandteil der verschiedensten philosophischen Strömungen ist ein weites Betätigungsfeld. Auch die rivalisierenden - oder sich gegenseitig ignorierenden - Geistes- und Naturwissenschaften scheinen ein ergiebiges Thema zu sein, aber nicht das augenblickliche. Tatsache jedoch: Einerseits wird der Erkenntnistheorie nicht jegliche Existenzberechtigung abgesprochen, doch andererseits haben Überlegungen dieser Art noch nie einen Einfluss auf die konkreten naturwissenschaftlichen Forschungen ausgeübt. Die Fachwissenschaftler hatten schon immer das getan, was sie für richtig hielten, was heutzutage nur durch die nie in ausreichendem Maße zur Verfügung gestellten finanziellen Mittel begrenzt wird. Von "übergeordneten Bewertungen" hielten sie nie besonders viel.

Nun waren es aber gerade die bekannten "Heroen der Physik", die sich dennoch Gedanken machten über jenes Gedanken-Gebäude, das man Physik zu nennen pflegt. Gedanken waren dies, die vielleicht eher als "Ad-hoc-Rechtfertigung" gedient haben dürften für das, was sie ohnehin als Forscher anzustellen beliebten. Vielleicht ist diese Einschätzung teilweise ungerecht, denn immerhin schrieb Albert Einstein (1879-1955) in einem der Briefe an seinen Freund Maurice Solovine:

Sie stellen sich vor, daß ich mit stiller Befriedigung auf ein Lebenswerk zurückschaue. Aber es ist ganz anders. Da ist kein einziger Begriff, von dem ich überzeugt wäre, daß er standhalten wird, und ich fühle mich unsicher, ob ich überhaupt auf dem rechten Wege bin. Die Zeitgenossen sehen in mir einen Ketzer und Reaktionär, der sich selber überlebt hat. Das hat mit Mode und Kurzsichtigkeit zu schaffen, aber das Gefühl der Unzulänglichkeit kommt von innen. Es kann wohl nicht anders sein, wenn man kritisch und ehrlich ist, und Humor und Bescheidung halten einen im Gleichgewicht, den äußeren Einwirkungen zum Trotz.

Eine derartige Selbsteinschätzung hat sehr wenig mit Koketterie und plakativer Bescheidenheit zu tun, schon deshalb nicht, weil diese Sätze an eine vertraute Person gerichtet waren. Ganz privat und ganz persönlich. Man darf getrost davon ausgehen, dass der "bedeutendste Physiker aller Zeiten" sich sehr wohl Gedanken machte über den Wert der physikalischen Erkenntnis im Allgemeinen und über das, was er selbst geschaffen hatte im Besonderen. Sicherlich liegt man nicht falsch, nimmt man an, dass Einstein ganz genau wusste, wovon die Rede ist, wenn er solche Sätze niederschrieb. Und "das Gefühl der Unzulänglichkeit" setzt ein gewaltiges Maß an Erkenntnisfähigkeit voraus. Gerade das Erkennen der Grenzen ist die erste Voraussetzung dafür, diese Grenzen - wenn man ganz großes Glück hat - eines Tages zu überwinden. Vielleicht . Und wissenschaftliche Erkenntnis hatte, zumindest bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts, noch etwas zu tun mit dem Überschreiten von Grenzen in ein vorher absolut unbekanntes und unerkanntes Terrain , von dessen Existenz man vorher noch nicht einmal etwas ahnen konnte.

Im Beitrag Zeitreise versuchte ich zu veranschaulichen, dass es bestimmte grundlegende Erkenntnisgrenzen gibt, die durch bewusstes und zielstrebiges Handeln nicht zu überschreiten sind. Dort ging es darum, dass ein Vertreter des 19. Jahrhunderts sicherlich einige Schwierigkeiten gehabt haben dürfte, wäre er mit Gegenständen aus unserer Zeit konfrontiert worden. Das Beispiel mit dem Taschenrechner hatte ich gewählt, weil wir hier ein "selbsterklärendes Objekt" vorfinden, dessen Verwendungszweck auch von einem Menschen zu erraten ist, der einen derartigen Gegenstand zum ersten Mal in den Händen hält, vorausgesetzt, er beherrscht die arithmetische Symbolik. Hier kommt man auch durch Probieren ans Ziel.

Doch eine schlichte CD mit den aktuellen Hits des Frühjahres 2001 würde unlösbare Rätsel aufgeben. Die in allen Regenbogenfarben schillernde "Rückseite" der Scheibe könnte bestenfalls als Beugungsgitter für optische Versuche herhalten. Und unter dem Mikroskop vielleicht wären die seltsamen Vertiefungen sichtbar (die so genannten Pits , mit deren Hilfe die digitalisierte Musik auf der Scheibe codiert ist), die eben als Beugungsgitter für das Licht fungieren. Das wars dann schon. Weiter möchte ich die Sache nicht vertiefen. Nur soviel noch: Die eine Seite dieser Scheibe ist mit irgendwelchen Texten, Bildern und/oder sonstigen "Hieroglyphen" bedruckt; und welchen Sinn diese haben sollen, bleibt wohl unklar. Die "Rückseite" hingegen erfüllt offensichtlich überhaupt keinen Zweck, außer dass sie als nicht ganz korrekter Spiegel, weil nicht völlig spiegelblank, zu gebrauchen ist. Jede physikalische, chemische und sonstige Analyse diese Scheibe wird kein Resultat bringen. Der Verwendungszweck wird ewig ein Rätsel bleiben und selbst die blühendste Phantasie der phantasiereichsten Menschen transzendieren.

Da können wir uns im hellen Schein unserer Überlegenheit fast einen Sonnenbrand holen, weil wir - und hier dürfen wir gewiss sein - niemals mit Erzeugnissen einer überlegenen künftigen Technologie konfrontiert werden. Den "Reisenden aus der Zukunft" sollten wir vergessen. Auch auf die ETs ist kein Verlass. Meines Wissens hat noch kein Alien irgend einen Gegenstand irgendwann versehentlich irgendwo liegen gelassen. Die ab und an bemühten UFO-Besatzungen legen augenscheinlich sehr großen Wert darauf, uns nicht mit sicht- und greifbaren Gegenständen ihrer Kultur zu verunsichern. Wie dem auch sei, uns bleiben Überraschungen dieser Art mit Sicherheit erspart.

Und das Eingeständnis unserer eigenen Unzulänglichkeiten ebenso.

Doch vielleicht ist letztere Einschätzung eine Fehl-Einschätzung. Haben wir es denn nicht in Wahrheit durchaus mit "Technologien" zu tun, die gegenüber den unsrigen einen Vorsprung haben, der sich nicht nach Jahrzehnten oder Jahrhunderten misst, sondern nach Jahrmilliarden? Diese Frage überrascht vielleicht. Aber denken wir an die biologische Evolution, deren Produkt unter anderem wir selbst sind, so müssen wir durchaus anerkennen, dass das bisherige wissenschaftliche Bemühen um das Verstehen des Lebens mit all seinen Begleiterscheinungen nicht von jenem Erfolg gekrönt wurde, den man sich einstmals erhoffte. Und je mehr Wissen man anhäufte, um so weniger schien man wirklich zu begreifen.

Dabei fing alles so vielversprechend und hoffnungsvoll an, damals, als man noch nicht ganz so viel wusste wie heute, damals, als man glaubte, fast alles schon verstanden zu haben. Ein gelegentlich zitierter Vertreter der Französischen Aufklärung, der Arzt Julien Offray de La Mettrie (1709-1751, siehe Foto) betitelte ein Buch mit Der Mensch eine Maschine (L’Homme Machine, 1747) Dieses Buch stieß seinerzeit auf ziemlich wenig Verständnis. Hier ein kleiner Auszug (Der Mensch eine Maschine, S. 19. Philosophie Schülerbibliothek, S. 12790):

Julien Offray de La MettrieDer Mensch ist eine Maschine, welche so zusammengesetzt ist, dass es unmöglich ist, sich zunächst von ihr eine deutliche Vorstellung zu machen und folglich sie zu definiren. Desshalb sind alle Untersuchungen theoretischer Natur, welche die grössten Philosophen angestellt haben, das heisst, indem sie gewissermassen auf den Flügeln des Geistes vorzugehen versuchten, vergeblich gewesen. Also kann man nur practisch, oder durch einen Versuch der Zergliederung der Seele, nach Art der Aufklärung über die körperlichen Organe, ich will nicht sagen mit Sicherheit die Natur des Menschen enträthseln, aber doch wenigstens den möglichst höchsten Grad von Wahrscheinlichkeit über diesen Gegenstand erreichen.

Die "Zergliederung der Seele" nach dieser Methode hat bisher nicht wirklich viel gebracht, sehen wir von den mehr oder weniger erfolgreichen "Seelenklempnern" einmal ab, Sigmund Freud (1856-1939) mit einbegriffen. Jene "Bewusstseins-Analytiker" befassen sich mit dem Phänomen Seele. Doch auch die physiologische Analyse des Hirns ist bislang so erfolgreich nicht wie man es gerne hätte. Die Frage nach dem "Wesen der Seele" sei zunächst zurückgestellt. Auf alle Fälle ist die Speicherung von Informationen im Hirn (oder wo auch immer) ein wichtiger Bestandteil dessen was wir Bewusstsein nennen, zumindest die wichtigste Voraussetzung dafür (notwendige, aber noch nicht hinreichende Bedingung). Aber die Art und Weise der Ablage der Informationen im Hirn ist - leider immer noch - völlig unbekannt. Und die Informationsdichte des Gehirns lässt im Vergleich jeden technischen Massenspeicher (Festplatte & Co.) der aktuellen PC-Kultur steinalt aussehen. Selbst das sprichwörtliche Spatzenhin ist all unseren technischen Errungenschaften haushoch überlegen. (Ein interessantes Thema in diesem Zusammenhang wäre die Künstliche Intelligenz.)

Haben wir es hier nicht tatsächlich mit einer "Technologie" zu tun, die zwar - diesen Standpunkt vertrete ich persönlich - kein bewusst planendes Handeln einer wie auch immer gearteten "höheren Instanz" als Ursache hat? Wenn hier von Erkenntnisschranken die Rede ist, so soll dies keineswegs im Sinne einer "metaphysischen Glaubens- oder Grundsatzfrage" verstanden werden, sondern ganz schlicht und ganz einfach und ganz praktisch im folgenden Sinn:

Sind wir überhaupt in der Lage, einzuschätzen, was wir nicht wissen?

Haben wir auch nur einen blassen Schimmer davon, welche Kenntnisse uns fehlen , um "die Seele zu zergliedern"? Ist das Wissen, um das wir uns bemühen, nicht selbst erst die Voraussetzung dafür, bestimmte Zusammenhänge zu begreifen?

Befasst sich unsere Forschung nicht tatsächlich zum Teil mit drittrangigen bis absolut unwichtigen Nebeneffekten, eben jenen unwesentlichen Epiphänomenen, die mit dem Kern der Angelegenheit so wenig gemein haben wie die Ergebnisse der chemischen und physikalischen Analyse des Materials einer CD mit dem Klang der Musik, die ein CD-Player dieser Scheibe zu entlocken vermag? Und stehen wir nicht vor ähnlichen Problemen in den grundlegenden Fragen der Physik und zum Beispiel auch der Kosmologie?

Einerseits haben wir keine Veranlassung, die unbestreitbaren Erfolge von Wissenschaft und Technik infrage zu stellen - andererseits sollten wir diese Erfolge nicht überbewerten. Solche Überschätzung führte stets dazu, dass man sich in den Wissenschaften fast am Ende einer Entwicklung wähnte. Und kurze Zeit später stellte sich heraus, dass dieses "Ende" kaum der Anfang ist. Aus diesen historischen Tatsachen sollte man durchaus lernen wollen. Jedenfalls wäre es nicht schlecht, jene überhaupt zur Kenntnis zu nehmen.

 

 

 

 

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