Wie zufällig ist der Zufall?
- Zufall und Notwendigkeit -

© 1998 - 2022 Wolfgang Neundorf
Stand: 20.08.2022

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Der Zufall hatte es den “Nachdenkern” schon zu allen Zeiten angetan. Ist nun alles “vorherbestimmt” - oder eben nicht?

ImmanuelKant

Wenn Thetik ein jeder Inbegriff dogmatischer Lehren ist, so verstehe ich unter Antithetik nicht dogmatische Behauptungen des Gegenteils, sondern den Widerstreit der dem Scheine nach dogmatischen Erkenntnisse (thesin cum antithesi), ohne daß man einer vor der andern einen vorzüglichen Anspruch auf Beifall beilegt. Die Antithetik beschäftigt sich also gar nicht mit einseitigen Behauptungen, sondern betrachtet allgemeine Erkenntnisse der Vernunft nur nach dem Widerstreite derselben unter einander und den Ursachen desselben. Die transzendentale Antithetik ist eine Untersuchung über die Antinomie der reinen Vernunft, die Ursachen und das Resultat derselben. [Kant: Kritik der reinen Vernunft, S. 506. Philosophie Schülerbibliothek, S. 13653]
Immanuel Kant

Immanuel Kant
1724 - 1804

Der Antinomie der reinen Vernunft dritter Widerstreit der transzendentalen Ideen

 [Kant: Kritik der reinen Vernunft, S. 533. Philosophie Schülerbibliothek, S. 13680]

Thesis

Antithesis

Die Kausalität nach Gesetzen der Natur ist nicht die einzige, aus welcher die Erscheinungen der Welt insgesamt abgeleitet werden können. Es ist noch eine Kausalität durch Freiheit zu Erklärung derselben anzunehmen notwendig.

Es ist keine Freiheit, sondern alles in der Welt ge-
schieht lediglich nach Gesetzen der Natur.

Beweis

Beweis

Man nehme an, es gebe keine andere Kausalität, als nach Gesetzen der Natur: so setzt alles, was geschieht, einen vorigen Zustand voraus, auf den es unausbleiblich nach einer Regel folgt. Nun muß aber der vorige Zustand selbst etwas sein, was geschehen ist (in der Zeit geworden, da es vorher nicht war), weil, wenn es jederzeit gewesen wäre, seine Folge auch nicht allererst entstanden, sondern immer gewesen sein würde. Also ist die Kausalität der Ursache, durch welche etwas geschieht, selbst etwas Geschehenes, welches nach dem Gesetze der Natur wiederum einen vorigen Zustand und dessen Kausalität, dieser aber eben so einen noch älteren voraussetzt u.s.w. Wenn also alles nach bloßen Gesetzen der Natur geschieht, so gibt es jederzeit nur einen subalternen, niemals aber einen ersten Anfang, und also überhaupt keine Vollständigkeit der Reihe auf der Seite der von einan der abstammenden Ursachen. Nun besteht aber eben darin das Gesetz der Natur: daß ohne hinreichend a priori bestimmte Ursache nichts geschehe. Also widerspricht der Satz, als wenn alle Kausalität nur nach Naturgesetzen möglich sei, sich selbst in seiner unbeschränkten Allgemeinheit, und diese kann also nicht als die einzige angenommen werden. Diesemnach muß eine Kausalität angenommen werden, durch welche etwas geschieht, ohne daß die Ursache davon noch weiter, durch eine andere vorhergehende Ursache, nach notwendigen Gesetzen bestimmt sei, d.i. eine absolute Spontaneität der Ursachen, eine Reihe von Erscheinungen, die nach Naturgesetzen läuft, von selbst anzufangen, mithin transzendentale Freiheit, ohne welche selbst im Laufe der Natur die Reihenfolge der Erscheinungen auf der Seite der Ursachen niemals vollständig ist.

Setzet: es gebe eine Freiheit im transzendentalen Verstande, als eine besondere Art von Kausalität, nach welcher die Begebenheiten der Welt erfolgen könnten, nämlich ein Vermögen, einen Zustand, mithin auch eine Reihe von Folgen desselben, schlechthin anzufangen: so wird nicht allein eine Reihe durch diese Spontaneität, sondern die Bestimmung dieser Spontaneität selbst zur Hervorbringung der Reihe, d.i. die Kausalität, wird schlechthin anfangen, so daß nichts vorhergeht, wodurch diese geschehende Handlung nach beständigen Gesetzen bestimmt sei. Es setzt aber ein jeder Anfang zu handeln einen Zustand der noch nicht handelnden Ursache voraus, und ein dynamisch erster Anfang der Handlung einen Zustand, der mit dem vorhergehenden eben derselben Ursache gar keinen Zusammenhang der Kausalität hat, d.i. auf keine Weise daraus erfolgt. Also ist die transzendentale Freiheit dem Kausalgesetze entgegen, und eine solche Verbindung der sukzessiven Zustände wirkender Ursachen, nach welcher keine Einheit der Erfahrung möglich ist, die also auch in keiner Erfahrung angetroffen wird, mithin ein leeres Gedankending. Wir haben also nichts als Natur, in welcher wir den Zusammenhang und Ordnung der Weltbegebenheiten suchen müssen. Die Freiheit (Unabhängigkeit), von den Gesetzen der Natur, ist zwar eine Befreiung vom Zwange, aber auch vom Leitfaden aller Regeln. Denn man kann nicht sagen, daß, anstatt der Gesetze der Natur, Gesetze der Freiheit in die Kausalität des Weltlaufs eintreten, weil, wenn diese nach Gesetzen bestimmt wäre, sie nicht Freiheit, sondern selbst nichts anders als Natur wäre. Natur also und transzendentale Freiheit unterscheiden sich wie Gesetzmäßigkeit und Gesetzlosigkeit, davon jene zwar den Verstand mit der Schwierigkeit belästigt, die Abstammung der Begebenheiten in der Reihe der Ursachen immer höher hinauf zu suchen, weil die Kausalität an ihnen jederzeit bedingt ist, aber zur Schadloshaltung durchgängige und gesetzmäßige Einheit der Erfahrung verspricht, da hingegen das Blendwerk von Freiheit zwar dem forschenden Verstande in der Kette der Ursachen Ruhe verheißt, indem sie ihn zu einer unbedingten Kausalität führet, die von selbst zu handeln anhebt, die aber, da sie selbst blind ist, den Leitfaden der Regeln abreißt, an welchem allein eine durchgängig zusammenhängende Erfahrung möglich ist.der Regeln abreißt, an welchem allein eine durchgängig zusammenhängende Erfahrung möglich ist.

 

Wie zufällig ist der Zufall? - Zufall und Notwendigkeit

 

Meiner Auffassung nach gibt es bei der Problematik des Determinismus und der Kausalität einige Unklarheiten, und dies trotz einiger Einsichten, welche man mit den Stichworten "Chaos" und "Synergetik" in Zusammenhang bringen kann. Auch die angeblich "qualitativ andere" Quantenphysik wirft mehr Probleme auf, als man glaubt gelöst zu haben. Im folgenden versuche ich, genannte Problematik in elementarer Form einigermaßen systematisch aufzubereiten. Doch zunächst eine ganz kleine Geschichte:

Da hatte ich mich auf den Urlaub gefreut. Alles, aber auch alles ging schief. Irgendwie musste ich verschlafen haben. Den Wecker hatte ich wohl überhört. Und der Zug längst über alle Berge. Also ab in die Garage.

Alles wäre halb so schlimm gewesen, hätte der Wagen wenigstens andeutungsweise Anstalten gemacht, anspringen zu wollen. Er wollte nicht. Und das mit Nachdruck. Der Autoverleiher, ein paar Straßen von mir entfernt, war die Rettung.

Wäre die Rettung gewesen, würde die Urlaubszeit unser Leben nicht maßgeblich bestimmen. Nur keine Panik. Langsam kam ich zu mir und stellte fest, dass es auf einen Tag nun auch nicht ankäme. Also ging ich in die Garage, um in aller Ruhe nach dem Auto zu sehen. Natürlich war die Batterie entladen; und diesen Schaden zu beheben war ich selbst imstande. Der nächste Tag brachte nichts Außergewöhnliches. Auf die Idee, nun doch noch mit dem Zug zu fahren, kam ich gar nicht erst. Der Stau auf der Autobahn verlief in gewohnter Weise; und nichts konnte mich aus der Fassung bringen.

Nichts hätte mich nicht aus der Ruhe bringen können, wäre da nicht jener Idiot hinter mir gewesen, der, anstatt auf den Verkehr zu achten, auf die Gegenfahrbahn schielte und sich von einem - anscheinend glimpflich verlaufenen - Auffahrunfall ablenken ließ. Glücklicherweise war außer einer etwas verformten hinteren Stoßstange mit meinem Wagen nichts Ernsthaftes passiert. Das Aussehen der Frontpartie des Fahrzeuges hinter mir versöhnte mich etwas mit meinem herben Schicksalsschlag.

Und - welch Zufall - der Fahrer des Wagens, jener Idiot genau, der diesen Unfall verursachte, war einer der ehemaligen Kommilitonen, denen ich schon vor ’zig Jahren versprach, „bald etwas von mir hören zu lassen“. dass dieser Mensch überhaupt und an diesem Tag und zu dieser Stunde und auf der Autobahn und - wortwörtlich - anzutreffen war, konnte ich seiner haarsträubenden Geschichte entnehmen, welche dem Leser nicht zugemutet werden soll. An der nächsten Autobahnraststätte hatten wir genügend Gesprächsstoff und konnten in Ruhe Erinnerungen austauschen.

Hätten können, wäre nicht zufällig meine vor drei Jahren geschiedene Ehemalige nebst - neuer - Familie aufgetaucht. Die Stimmung war verdorben. Die Fahrt ging weiter, und im Autoradio hörte ich die Meldung von einem Zugunglück. Ich war froh, am vergangenen Tag verschlafen zu haben. Trotz allem, an diesen Urlaub erinnere ich gern. Er hatte etwas Einmaliges, ja geradezu Exklusives an sich. Es ist einer der wenigen Urlaube, an die ich mich überhaupt erinnere.

(Dies ist eine erfundene Geschichte.)

Nicht erfunden allerdings ist ein Problem. Und dieses Problem heißt Zufall. Mit zufälligen Ereignissen haben wir sehr oft zu tun. Die einen heißen „Glück“ und die anderen „Pech“. Und dann gibt es noch die indifferenten Ereignisse, die wir gewöhnlich ignorieren. Wer eine Pechsträhne erwischt hat (oder sie ihn) ist nicht geneigt, an Zufälle zu glauben. Dies jedoch sind subjektive Einschätzungen und Wertungen. Gibt es aber objektive Kriterien, welche den Zufall beurteilbar machen könnten? - Um dahin zu kommen, ist es hilfreich, sich darüber Gedanken zu machen, was kein Zufall ist.

Und damit wieder einmal schlagen wir die Brücke zur klassischen Mechanik, welche prinzipiell keine zufälligen Ereignisse zuließ. Das gerade machte einst das Wesen jener Wissenschaft aus und legte nachdrücklich und nachhaltig, und schließlich sehr nachteilig auch, das Verständnis fest von der Natur bis Ausgang des 19. Jahrhunderts. Die kausale Denkweise bestimmte das wissenschaftliche Denken - und dies in jeder Beziehung. Jede Wirkung hatte ihre Ursache. Jene Ursache wiederum war Wirkung einer vorangegangenen Ursache, welche wiederum..., usw.

Da sich nun alles gesetzmäßig zu vollziehen hatte, waren auch alle Kausalketten mit dieser Gesetzmäßigkeit behaftet. Das Problem solcher Denkweise aber bestand gerade darin, dass, war man nur konsequent genug, es nichts geben konnte in der großen weiten Welt, was jener strengen Determiniertheit hätte entrinnen können. Alles musste vorherbestimmt sein - aber auch alles. Die Handlungen jedes Einzelnen, müssten - folgerichtig - jegliche Freiheit vermissen lassen. Wahre Willensfreiheit gäbe es nicht. Diese wäre nur Schein. Was jeder Mensch auch täte, seinem Schicksal könne er nicht entrinnen. Fatalismus heißt diese Haltung und ist Bestandteil einiger religiöser Weltanschauungen (das christliche Verständnis von diesen Dingen gehört nicht dazu) und delikaterweise eine Folge des mechanistischen Materialismus. Versuchen wir uns subjektiv diesem Fatalismus zu entziehen, indem wir trotz allem selbständig handeln, so wäre auch diese vermeintliche Handlungsfreiheit in Wahrheit vorprogrammiert.

Wenn zum einen wir unausweichlich dem Schicksal ausgeliefert sind und mit uns die restliche Welt, so muss zum anderen der jetzige Zustand ebenfalls eindeutig vorherbestimmt sein vom Zustand der Welt vor Milliarden von Jahren. Alles was ist, musste bereits „vorausgedacht“ sein. Auch hier gibt es etliche „Ismen“ und „Logien“, welche versuchen jene Probleme zu interpretieren, womit wir uns nicht auseinandersetzen wollen.

Doch holen wir etwas weiter aus und lesen nach bei einem Vertreter des Mechanizismus, Pierre Simon Marquis de Laplace (französischer Philosoph, Astronom, Physiker und Mathematiker 1749-1827):

Pierre Simon Marquis de Laplace

Pierre Simon Marquis de LaplaceDer momentane Zustand des „Systems“ Natur ist offensichtlich eine Folge dessen, was im vorherigen Moment war, und wenn wir uns eine Intelligenz [Dies ist der berühmt -berüchtigte Laplacesche Dämon, W.N.] vorstellen, die zu einem gegebenen Zeitpunkt alle Beziehungen zwischen den Teilen des Universums verarbeiten kann, so könne sie Orte, Bewegungen und allgemeine Beziehungen zwischen all diesen Teilen für alle Zeitpunkte in Vergangenheit und Zukunft vorhersagen. Die Astronomie, der Teil unseres Wissens, der dem menschlichen Geist zur größten Ehre gereicht, gibt uns eine wenn auch unvollständige Vorstellung, wie diese Intelligenz beschaffen sein müsste. Die Einfachheit der Gesetze, nach denen sich die Himmelskörper bewegen, und die Beziehungen zwischen den Massen und Abständen erlauben der Analysis, ihren Bewegungen bis zu einem gewissen Punkt zu folgen; und um nun den Zustand dieses Systems großer Massen für zukünftige oder vergangene Jahrhunderte zu bestimmen, genügt es dem Mathematiker, dass ihre Orte und Geschwindigkeiten zu einem Zeitpunkt gegeben sind: Die Menschheit verdankt diese Möglichkeit den leistungsfähigen Instrumenten, die sie benutzt, und den wenigen Beziehungen, die man zu Berechnung braucht. Aber unser Unwissen um die verschiedenen Ursachen, die beim Werden eines Ereignisses zusammenwirken sowie ihre Komplexität zusammen mit der Unvollkommenheit der Analyse verhindern, dass wir die gleiche Sicherheit bei den meisten anderen Problemen haben. Es gibt also Dinge , die unbestimmt sind, die mehr oder weniger wahrscheinlich sind, und wir versuchen die Unmöglichkeit, sie zu bestimmen, dadurch zu kompensieren, dass wir die verschiedenen Grade der Wahrscheinlichkeit bestimmen. Es ist also so, dass wir einer Schwäche des menschlichen Geistes einer der schönsten und genialsten mathematischen Theorien verdanken, die Wissenschaft von Zufall und Wahrscheinlichkeit.

Diese Auffassung war bestimmend bis Ausgang des 19. Jahrhunderts. Der Grund ist jener, dass die Erfolge der Astronomie bei der Umsetzung der Erkenntnisse und Methoden der klassischen Mechanik diese Einstellung geradezu provozierten. Es bedurfte keines Schöpfers mehr, der in das gegebene Geschehen eingreifen musste, um eine - wie immer auch geartete - Ordnung aufrechtzuerhalten, selbst dann nicht, nahm man einen solchen an, der die Anfangsbedingungen schuf. Gerade der Himmel galt als Aufenthaltsort - gleich welcher - Gottheiten; und aus ihrem Domizil wurden sie erfolgreich vertrieben. Und jenes Bereiches nahmen sich mit zunehmenden Erfolgen die Wissenschaften an in Gestalt der Physik und der Astronomie . Es bedurfte keiner göttlichen Ursachen mehr. Die Ursache alles Vorhandenen war die Natur selbst.

Die Himmelsmechanik und die irdische Mechanik gehorchten spätestens seit Newton einheitlichen Gesetzen. Diese Tatsache führte zu einer durchaus verständlichen und auch nachvollziehbaren Überschätzung des vorhandenen Erkenntnisstandes. Die oft genannten Erfolge der Wissenschaften suggerierten die Möglichkeit, aufbauend auf jenen Wissensstand, eines Tages alles verstehen und erklären zu können. „Der Mensch als Maschine“ war die nur allzu leicht zu gewinnende Einsicht in Zusammenhänge, von deren Verständnis man in Wahrheit dermaßen weit entfernt war - und ist! -, dass die Entfernung von der Wirklichkeit auch in heutiger Zeit in Wirklichkeit nicht einmal grob abgeschätzt werden kann. Die Wissenschaften - so galt die allgemeine Vorstellung - waren nicht nur auf dem rechten Wege zu immer genaueren Einsichten in die natürlichen Zusammenhänge, sondern von diesen Kenntnissen nur unbedeutend weit noch entfernt. Es galten bestimmte Naturgesetze, und die Anschauung von einer durchgängigen Kausalität war bestimmend für - nicht nur - das wissenschaftliche Denken.

Kommen wir auf die eingangs des Kapitels erzählte Geschichte mit dem Urlauber zurück, der in eine Reihe von Ereignissen verwickelt wurde, die im Nachhinein irgendwie als schicksalhaft bestimmt anmuten, und die Frage nach dem Zufall oder Schicksal zur akuten Frage werden lässt, so erscheint die Häufung derart unwahrscheinlicher Ereignisse geradezu unheimlich. Wenn man dann noch bedenkt, dass der Erzähler durch Zufall einem Zugunglück entronnen ist, so fällt manchem das Wort „Vorsehung“ vielleicht ein. Wie zufällig wirklich ist diese Kette - durchaus kausal bedingter - Ereignisse? - Jedes folgende Ereignis wurde kausal verursacht. Die Schlampigkeit des Erzählers war die Ursache für die entladene Starterbatterie usw. Interpretieren wir diese Geschichte - und unser Leben besteht aus einer mehr oder minder sinnvollen Folge zufallsbestimmter Geschichtchen der genannten Art - in altbekannter mechanistischer Manier, so sträubt sich, bei aller Einsicht in eine durchgängige Naturgesetzlichkeit, der schon sprichwörtliche, jedoch in Ungnade gefallene, gesunde Menschenverstand anzunehmen, jene Folge von Ereignissen stand vor Milliarden von Jahren schon fest. Und nichts in der Welt war in der Lage, diese Kette von Vorfällen, die nur aus unserer beengten Sicht als Zufälle erscheinen, zu umgehen . Und es wäre wirklich absurd zu glauben, dass ein gelangweilter Leser, an dieser Stelle des Textes ein Gähnen nicht unterdrückend, es aus jenem Grund nicht unterdrücken konnte, weil es seit Anbeginn der Entwicklung des Universums als unausweichliche Folge der damaligen materiellen Konstellation mit Notwendigkeit eintreten musste.

Einerseits sagt uns die Erfahrung, dass der Zufall eine objektive Gegebenheit ist. Nicht alles in der Welt ist vorprogrammiert, sei es nun mit einem oder ohne einen „göttlichen Programmierer“. Andererseits aber ist die Vorstellung von der durchgängigen Kausalität dermaßen evident, und ebenfalls durch die Erfahrung nahegelegt, dass man durchaus einige Probleme hat, mit dieser Denkschwierigkeit fertig zu werden, jedenfalls dann, versucht man sich unvoreingenommen dieser Problematik zu nähern. Um es eindeutig zu formulieren: Die genannte Schwierigkeit konnte bisher nicht umfassend und wirklich eindeutig geklärt werden.

dass der Zufall auch auf dem Gebiet der Physik seit langem Einzug gehalten hat, wurde bereits im Zusammenhang mit der Quantenmechanik erwähnt . Diese Objekte entzogen sich der klassischen Determiniertheit, ohne dass die damit verknüpften Prozesse von „Gesetzlosigkeit“ gezeichnet waren. Die Physiker akzeptierten diesen Umstand vorübergehend als eine Art „Wir-können-es-ja-leider-auch-nicht-ändern-Tatsache“, ohne eine wirkliche Begründung anzugeben. Man fand sich damit ab - notgedrungen. Dann machte man aus der Not eine Tugend und argumentierte: Wenn schon die Prozesse im Bereich der Atome und Elementarteilchen nicht starr determiniert sind, so kann man dies von komplexeren Systemen (Chemie, Biologie , Wirtschaft, Gesellschaft usw.) erst recht nicht erwarten. Das Problem aber wurde damit nicht wirklich geklärt, sondern - wieder einmal - lediglich verlagert auf eine Ebene, die jegliche Frage nach dem „Wieso“ prinzipiell im Keime erstickte. Es war eben so. Und damit hatte man gefälligst sich abzufinden. Doch gerade die Heroen der modernen Physik konnten mit dieser Einstellung sich so recht nicht anfreunden. Auch Einstein glaubte nicht an den „würfelnden Gott“.

Ansätze, den Zufall salonfähig zu machen gab es schon früher. Hierzu wollen wir abermals einen Franzosen zitieren. Der Mathematiker und Philosoph Henri Poincaré (1853-1912) äußerte dazu sich folgendermaßen

Henri Poincaré

Henri  PoincaréEine sehr kleine Ursache, die wir nicht bemerken, bewirkt einen beachtlichen Effekt, den wir nicht übersehen können, und dann sagen wir, der Effekt sei zufällig. Wenn die Naturgesetze und der Zustand des Universums zum Anfangszeitpunkt exakt bekannt wären, könnten wir den Zustand dieses Universums zu einem späteren Moment exakt bestimmen. Aber selbst wenn es kein Geheimnis in den Naturgesetzen mehr gäbe, so könnten wir die Anfangsbedingungen doch nur annähernd bestimmen. Wenn uns dies ermöglichen würde, die spätere Situation in der gleichen Näherung vorherzusagen - dies ist alles, was wir verlangen -, so würden wir sagen, dass das Phänomen vorhergesagt worden ist und dass es Gesetzmäßigkeiten folgt. Aber es ist nicht immer so; es kann vorkommen, dass kleine Abweichungen in den Anfangsbedingungen schließlich große Unterschiede in den Phänomenen erzeugen. Ein kleiner Fehler zu Anfang wird später einen großen Fehler zur Folge haben. Vorhersagen werden unmöglich, und wir haben ein zufälliges Ereignis.

Diese Aussagen, fast einhundert Jahre alt, beschreiben - absolut richtig und völlig zutreffend - eine Seite der Wirklichkeit. Wir werden uns in geeigneter Form damit noch auseinandersetzen. Dabei wird festzustellen sein, dass noch die Kehrseite dieser Medaille ungeteilte Aufmerksamkeit verdient. Mit eben erfolgten Zitat ist unser Problem noch immer nicht hinreichend geklärt, sondern erst einmal klar formuliert.

Eine Wiederbelebung erfuhr die Idee von „der kleinen Ursache mit großer Wirkung“ (hier spricht man heute von der empfindlichen Abhängigkeit von den Anfangsbedingungen) in der noch nicht sehr alten Chaos-Theorie. Ein aus der Mathematik hervorgegangener interdisziplinärer Forschungszweig befasst sich mit „chaotischen Phänomenen auf deterministischer Basis“. (Wer jetzt immer noch nicht gänzlich verwirrt sein sollte, dem ist beim besten Willen nicht zu helfen.) Irgendwo also muss ein Fehler versteckt sein. Ein Denkfehler natürlich. Was sonst. Anders kann es gar nicht sein!

Einer Seite dieser Angelegenheit näherten wir uns bereits im vorausgegangenen Kapitel, in welchem wir uns mit der Zeit befassten. Trotzdem bleiben etliche Fragen völlig ungeklärt. Dabei geht es um jene Fragen, die mit den Begriffen Determinismus und Kausalität einhergehen. Beginnen wir bei der Kausalität. Hier ist alles klar und eindeutig bestimmt. Keine Frage ist offen, und jeder weiß ganz genau was damit gemeint ist. Trotzdem, irren ist menschlich. Und wer so denkt, der irrt gewaltig. Nichts ist wahrhaft geklärt.

Zufall+Notwend. Zufall Determinismus Kausalität Vorhersagen

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