Erkenntnistheoretische Aspekte - Vorbemerkungen
Es fällt schwer, sich mit dieser Problematik einigermaßen konstruktiv auseinanderzusetzen. Das liegt wohl daran, dass zwischen Philosophie und Naturwissenschaft eine bisher nicht überbrückte Kluft
besteht. Anspruch und Gegenstand der Überlegungen beider Bereiche sind zu verschieden. Zunächst wäre zu klären, was „Erkenntnis“ denn nun sei und welche Grenzen der Erkennbarkeit dem Menschen
grundsätzlich
gesetzt sind. Schon die Frage, ob denn das, was die moderne Physik dem staunenden Publikum offeriert, Erkenntnis im klassischen Sinne sei, ist kaum zu beantworten. Und dennoch wäre dies notwendig. Dabei sind „metaphysische Spekulationen“ auf der einen Seite genau so wenig hilfreich, wie Ignoranz auf der anderen. Dass erkenntnistheoretische Erwägungen gerade auch bei den Klassikern der Physik keine unwichtige Rolle spielten, sei nur der Vollständigkeit halber erwähnt. Die „wahren Philosophen“ jedoch begaben sich selten in die Niederungen der konkreten Einzelwissenschaft (von jener Zeit einmal abgesehen, als „Natur-Wissenschaft“ noch Bestandteil der „Natur-Philosophie“ war).
Die Naturwissenschaft, jedenfalls nach dem üblichen Verständnis, zunächst ist prinzipiell empirisch geprägt. Theoretische Durchdringung trägt grundsätzlich Ad-hoc-Charakter (dies gilt insbesondere für die
moderne Physik). Fakten werden allenfalls in einen vorgegebenen Rahmen (Hier sei noch bemerkt, dass dieser „Rahmen“ schon recht betagt ist) eingefügt, ohne auch nur die Spur eines Gedankens darauf
zu verschwenden, ob dies überhaupt der richtige Rahmen ist, weil es nur diesen einen gibt. Das Mosaik der naturwissenschaftlichen Erkenntnis muss innerhalb dieses Rahmens sich zwangsläufig
„irgendwann“ zu einem weitgehend vollständigen Bild komplettieren lassen, andernfalls wäre Erkenntnis schlechthin unmöglich. Hier sind Naturwissenschaftler, und natürlich speziell die Physiker,
zumindest „implizite Realisten“. Der Gegenstand der Physik ist ein ganz realer; und alles geht mit rechten Dingen zu. Dabei aber wird nicht beachtet, dass der gesellschaftlich-historische
Erkenntnis-Prozess
eine Eigendynamik entwickelt, die man kennen und respektieren sollte. Auf philosophischer Seite werden Grundsatzprobleme geklärt (oder auch nicht). Eine Rückkopplung auf den konkreten physikalischen Erkenntnisprozess ist selten erkennbar. Die Philosophie ist - sehr vereinfachend dargestellt - entweder nur interpretativ (analysiert den Ist-Zustand) oder „abgehoben“ (kümmert sich um - aus der etwas eingeengten Sicht des Naturwissenschaftlers - Scheinprobleme und “metaphysische Dinge“). Nimmt man „meta-physisch“ wörtlich, so müsste die Philosophie - zumindestens partiell im Rahmen erkenntnistheoretischer Überlegungen - die Rolle einer Metatheorie übernehmen. In der Praxis ist dies meiner Auffassung nach kaum der Fall. Wenn hier von „Erkenntnistheoretischen Aspekten“ die Rede ist, so soll es vor allem um einige konkrete Belange des konkreten physikalischen Erkenntnisprozess gehen.
Die Physik als die grundlegendste Naturwissenschaft setzt Maßstäbe, geht es um die Problematik der Erkenntnistätigkeit. Die Geschichte der Physik kann als Beispiel der Entwicklung naturwissenschaftlicher
Denkweisen angesehen werden, an dem sich Kontroversen bezüglich erkenntnistheoretischer Grundhaltungen und philosophischer „Ismen“ entfachten. Naturwissenschaftliche Denkweise“ heißt auch,
alle Erscheinungen als Ergebnisse „natürlicher Ursachen“ zu erkennen. Wunder sind ausgeschlossen. Nun wird es schon schwerfallen, den Begriff des Wunders zu definieren. „Wunder“ sind
Erscheinungen, die im Gegensatz zu den Naturgesetzen stehen. Da aber sich alles nach diesen Naturgesetzen zu richten hat (das ist Teil des ursprünglichen materialistischen Standpunktes), sind Ereignisse
„der besonderen Art“ ausgeschlossen. Das Problem nur ist, welches sind die objektiven Naturgesetze? Ein Wunder ist ein „singuläres Ereigniss“. Tritt ein „Wunder“ nachweislich mindestens
zweimal auf, so ist es keines mehr, da hier aufgrund der Reproduzierbarkeit auch eine Gesetzmäßigkeit verborgen sein muss, selbst dann, lässt sich diese Gesetzmäßigkeit nicht in jenes Bild einfügen,
welches den aktuellen Erkenntnisstand repräsentiert.
Vereinfachend könnte folgende Darstellung die aktuelle Situation beschreiben:
Variante A
Prämisse
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Die Welt ist prinzipiell erkennbar
Hier wäre zu klären, was es mit der „Welt“ auf sich habe. Es geht dabei
nicht um die Tatsache eines möglichen „Erkenntnishorizontes“, außerhalb dessen jedwede Erkenntnisgewinnung illusorisch wird. Nur
die Frage nach der sinnvollen Erkenntnistätigkeit innerhalb jenes Erkenntnishorizontes soll an dieser Stelle gestellt werden. Sind die
Erkenntnisse über „die Welt“ wirklich schon adäquate (qualitativ richtige) Abbilder der Realität bzw. auf dem Weg dorthin? Die
Frage nach einem „Jenseits dieser Welt“ ist nicht Gegenstand jetziger und nachfolgender Überlegungen. Ein solches
„Jenseits“ wäre in diesem Sinne als ein „Jenseits des Erkenntnishorizontes“ zu interpretieren. Dies erscheint sinnvoll und
schließt jegliche mystische Spekulation aus. Somit wird die Problematik der Erkenntnis in zwei Teilprobleme gegliedert. Zum einen
handelt es sich um die metaphysische - und damit vom Standpunkt der Naturwissenschaft unentscheidbare - Frage nach der Existenz eines
Erkenntnishorizontes (ein Mensch, der nicht an allzu großer Selbstüberschätzung leidet, könnte durchaus zu dem Schluss gelangen, dass
ein solcher existiert), und zum anderen wird das Problem der Erkenntnistätigkeit diesseits des (hypothetischen?) Erkenntnishorizontes
aufgeworfen. Und um letzteres geht es im Rahmen folgender Überlegungen. (Vom Standpunkt dieser Anmerkungen betrachtet, ist die Aussage
„Die Welt ist prinzipiell erkennbar“ eine Tautologie.)
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Conclusio
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Der konkrete Erkenntnisprozess muss dem Wesen der Dinge beliebig nahe
kommen. Jeder Zweifel daran widerspräche der Prämisse ist somit unzulässig.
Jetzt taucht natürlich das Problem auf, was wir denn mit dem „Wesen der
Dinge“ meinen könnten. Auch hier kann man etwas bescheidener vorgehen. Ich nehme den Standpunkt ein, dass qualitativ wahre
Aussagen irgendwie schon etwas mit diesem „Wesen“ zu tun haben. Quantitative Modelle können qualitativ völlig falsch sein, und
dennoch sind diese möglicherweise in der Lage, quantitative Relationen (näherungsweise) richtig abzubilden.
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Variante B
Prämisse
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Der konkrete Erkenntnisprozess weist eine Reihe von
Widersprüchen auf.
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Conclusio
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Die Welt ist prinzipiell nicht erkennbar.
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Beide Auffassungen sind gleichermaßen einseitig und reflektieren jeweils nur einen Gesichtspunkt
dieser Angelegenheit. Die Alternative zu diesen Haltungen könnte lauten:
Variante C
Prämisse
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Die Welt ist prinzipiell erkennbar, doch der konkrete
Erkenntnisprozess weist eine Reihe von Widersprüchen auf.
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Conclusio
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Es ist erforderlich, sich nicht nur mit dem Ziel, sondern ebenfalls
mit dem Vorgang der Erkenntnisgewinnung selbst zu beschäftigen.
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Je weiter beobachtbare Objekte sich der Alltagsanschauung entziehen, um so größer die Bereitschaft, sich mit Formalismen und logischen
Ungereimtheiten abzufinden. Letztlich legt die Erfahrung eine erkenntnispessimistische Haltung nahe. Alles, was von der Alltagserfahrung „hinreichend
weit entfernt“ ist entzieht sich dem „gesunden Menschenverstand“. Da der Bereich der Realität, der sich der Alltagserfahrung entzieht, weitaus
größer ist, als der gemeinhin überschaubare, so liegt eine erkenntnispessimistische Grundhaltung auf der Hand. Es muss somit die Frage nach der
Möglichkeit bzw. Unmöglichkeit der Wissenschaft schlechthin gestellt werden. Betrachtet man Wissenschaft lediglich als Mittel zum Zweck, als
Anleitung zum technischen Handeln, so hat diese Frage keine Bedeutung (Pragmatismus).
These 1: Die Welt ist prinzipiell erkennbar
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- Die historische Entwicklung der Wissenschaften zeigt das immer weitergehende Verständnis für die
Zusammenhänge in der Natur. Das Auftreten von Widersprüchen beweist nicht das Gegenteil, wenn man bedenkt, wie kurz die Zeit bisher war, die der Wissenschaft zur
Verfügung stand. (Es handelt sich um die „ersten Versuche“.)
- Der Erkenntnisprozess ist ein nie abschließbarer Prozeß. Die Erkenntnis nähert sich asymptotisch der
Wahrheit.
- Allein die Tatsache des möglichen Zweifels an der Erkenntnisfähigkeit beweist diese indirekt.
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These 2: Die Welt ist prinzipiell nicht erkennbar
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- Die historische Entwicklung der Wissenschaften zeigt das immer weitergehende Unverständnis für die
objektiven Zusammenhänge in der Natur.
- Die Art und Weise, wie Widersprüche beseitigt werden, beweist dass Erkenntnis und Realität nicht
zwangsläufig konvergieren.
- Der Erkenntnisprozess ist ein nie abschließbarer Prozess. dass die Erkenntnis sich der Wahrheit nähert, ist
eine Wunschvorstellung. Es gibt in Wirklichkeit keinen echten konkreten Hinweis auf die Richtigkeit dieser Annahme.
- Erkenntnisoptimismus ist ein Zeichen von Realitätsferne und Selbstüberschätzung.
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Dies ist nun absolut nicht neu. Das Anliegen dieser Darstellung ist nur, zu zeigen, auf welche Schwerpunkte eingegangen werden wird. Es sollen
somit, das sei wiederholt, an dieser Stelle keine erkenntnistheoretischen Grundprobleme erörtert werden.
Hier und im folgenden wird eine erkenntnisoptimistische Grundhaltung vorausgesetzt. Die Welt (innerhalb des Erkenntnishorizontes) ist prinzipiell
erkennbar. Es wäre „nur“ zu klären, wie aus der potentiellen Erkennbarkeit aktuelle Erkenntnis wird und welches die objektiven Kriterien der
Bewertung des Erkenntnisstandes sind. Die Frage nach der Existenz eines grundsätzlichen Erkenntnishorizontes bleibt unbeantwortet. Gegenstand
der hier skizzierten Überlegungen sollen die Probleme der Erkenntnistätigkeit „diesseits des Erkenntnishorizontes“ sein.
Einige wichtige Gesichtspunkte des Erkenntnisprozesses seien nochmals genannt:
- Die historische Determiniertheit des Erkenntnisprozesses: Ist die Annäherung der Erkenntnis an das Wissen über das Wesen der Dinge als ein
konvergenter iterativer Prozess zu deuten?
- Die Materialisation von Abstraktionen (Hypostasierungen): Modelle und (Ab-)Bilder wurden und werden selbst zu objektiven Gegebenheiten (dies wurde
besonders bei der Analyse der Begriffe Raum, Zeit und Kraft deutlich).
- Verschiebung der Fragestellungen und auch der Problemlösungen auf eine Abstraktionsebene, die nur noch formale Beschreibungen zulässt. Das führt zum
prinzipiellen Verzicht auf Anschaulichkeit, und zur dominierenden Rolle der Mathematik bzw. abstrakter Modelle usw.
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